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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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ich als stolzer Reiter heimwärts zieh.«
    Chert war zu müde, um mehr zu tun, als dem Dachling noch einmal zu danken. Nach allem, was sie gemeinsam durchlebt hatten, war es ein hastiger und seltsam gedämpfter Abschied, aber Chert blieb nicht viel Zeit, darüber nachzudenken.
    In letzter Zeit hatten die Funderlinge zwar allerlei ungewöhnliche Dinge gehört, aber gesehen hatten sie etwas so Seltsames wie diese kleine Prozession wohl noch nie: Als sich Chert und der Tempelbruder mit Flint der Keilstraße näherten, folgte ihnen bereits ein ganzer Rattenschwanz von Kindern und auch Erwachsenen. Chert tat sein Bestes, ihre Fragen und gutmütig-spöttischen Bemerkungen zu ignorieren. Er hatte keine Ahnung, welche Tageszeit oder auch nur welcher Tag jetzt sein mochte. Der junge Tempelbruder Antimon am vorderen Ende der Trage erklärte, es sei Himmeltag, viertes Läuten. Das hieß, stellte Chert verblüfft fest, daß er fast drei Tage in der Tiefe gewesen war.
    Arme Opalia! Sie war bestimmt ganz außer sich vor Sorge!
    Die Neuigkeit war ihnen auf Kinderbeinen vorausgeeilt; am Anfang der Keilstraße wartete schon eine Schar Nachbarn darauf, sich dem Zug anzuschließen. Auch sein Haus hatte die Kunde bereits erreicht: Noch ehe er im Eingangshof war, kam Opalia herausgestürzt, das Gesicht eine wirre Mischung aus Freude und Kummer.
    Er versuchte, sich nicht darüber zu ärgern, daß sie als erstes den bewußtlosen Jungen umarmte, obwohl sie damit die Trage beinah zum Kippen brachte. Er war noch müder, als ihm bewußt gewesen war, konnte nur mühsam sein Ende der Trage festhalten und die Fragen seiner Nachbarn mit einem stummen Kopfschütteln abwimmeln. Der kräftige Antimon bahnte sich eine Gasse zur Haustür.
    »Er ist nicht tot«, sagte Opalia und kniete neben dem Jungen nieder. »Sag, daß er nicht tot ist.«
    »Er lebt, er ... schläft nur.«
    »Den Alten sei Dank — aber er ist so kalt!«
    »Er braucht deine Pflege, mein gutes Weib.« Chert sank auf eine Bank.
    Sie stutzte, stürmte dann plötzlich zu ihm, fiel ihm um den Hals und küßte ihn auf die Wangen. »Ach, ich bin so froh, daß du auch noch am Leben bist, du alter Narr. Einfach tagelang verschwinden! Ich habe mir auch um dich Sorgen gemacht.«
    »Ich habe mir auch Sorgen um mich gemacht, mein altes Mädchen. Tu jetzt, was zu tun ist. Die ganze seltsame Geschichte erzähl ich dir später.«
    Antimon half Opalia, den Jungen aufs Bett zu verfrachten, verneinte, als sie ihn zerstreut fragte, ob sie ihm etwas zu essen oder zu trinken anbieten könne, und ging hinaus, um die wartende Menge mit ein paar vagen Antworten abzuspeisen. Chert vermutete, daß dem Tempelbruder diese ganze Aufgabe gar nicht so unangenehm war. Soweit er wußte, hatten die Brüder, vor allem die jüngeren, nicht oft Gelegenheit, in die Funderlingsstadt heraufzukommen: Marktgänge und ähnliche Zerstreuungen und Versuchungen waren allein den älteren, vertrauenswürdigeren Brüdern vorbehalten.
    Er hörte Opalia im Schlafzimmer gurren, während sie dem Jungen die dreckigen Lumpen auszog, ihn säuberte und auf Verletzungen hin untersuchte, wie es die Tempelbrüder bereits getan hatten. Chert glaubte nicht, daß frisches Unterzeug den Jungen wieder zu sich bringen würde, aber er wußte, seine Frau mußte irgend etwas tun.
    Ein leises Rascheln ließ Chert aufblicken: Er merkte jetzt erst, daß er nicht allein im Raum war. Eine sehr junge Frau, eine Großwüchsige, saß auf der langen Holzbank an der Wand und sah ihn mit der Miene geduldiger Gleichmut an. Ihr dunkles Haar war unordentlich zurückgebunden, und sie trug ein Kleid, das ein wenig zu weit für ihre schmale Figur schien. Chert hatte sie noch nie gesehen und konnte sich nicht vorstellen, warum in aller Welt jemand wie sie hier in seinem Haus sitzen sollte — nicht einmal an einem Tag voller so bizarrer Stollenkreuzungen und Gangverzweigungen.
    »Wer seid Ihr?«
    Opalia kam aus dem Schlafzimmer, mit einem Gesichtsausdruck, der schon fast an Verlegenheit grenzte. »Ich hab ganz vergessen, es dir zu sagen, vor lauter Aufregung wegen dem Jungen und allem. Sie kam so um das zweite Läuten, und seither sitzt sie hier und wartet. Sie sagt, sie muß dich sprechen, dich allein. Ich ... ich dachte, es hätte vielleicht was mit Flint zu tun ...«
    Die junge Frau auf der Bank regte sich. Sie wirkte fast wie im Halbschlaf. »Ihr seid Chert von Blauquarz?«
    »Ja. Wer seid Ihr?«
    »Ich heiße Willow, aber ich bin niemand.« Sie stand auf; ihr Kopf

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