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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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obwohl eine solche Selbsttäuschung nicht einmal Luian zuzutrauen war. Vielleicht wollte sie aber auch nur, daß sie sich wieder vertrugen.
    Dennoch war Qinnitans Herz schwer und voller Mißtrauen, als sie dem stummen Knaben durch den Frauenpalast folgte.
    Es war ein Schock: In Luians Bett lag ein dicker, häßlicher, weinender Mann. Erst mehrere Herzschläge später erkannte sie, daß es Luian selbst war, eine Luian ohne Schminke, Perücke und aufwendiges Kleid, nur in einem einfachen weißen Nachthemd, das von Tränen und Schweiß ganz feucht war.
    »Qinnitan, Qinnitan! Den Göttern sei Dank, du bist hier!« Luian breitete die Arme aus. Qinnitan konnte nicht anders als hinzustarren. Es war wirklich Dudon gewesen, unter der ganzen Schminke — der pummlige, ganz mit sich selbst beschäftigte Junge, der die Straßen auf und ab ging und die Nushash-Gebete vor sich hinmurmelte. Sie hatte es natürlich die ganze Zeit gewußt, aber bis jetzt nicht wirklich gesehen. »Warum scheust du vor mir zurück?« Luians Gesicht war rotfleckig und tränennaß. »Haßt du mich?«
    »Nein!« Aber sie brachte es nicht über sich, sich in diese Arme schließen zu lassen, nicht vor Ekel, sondern weil sie plötzlich Angst davor hatte, zu nahe an jemanden heranzuschwimmen, der vielleicht am Ertrinken und deshalb gefährlich war. »Nein, ich hasse Euch nicht, Luian, natürlich nicht. Ihr wart sehr gut zu mir. Was ist denn los?«
    Zurück kam ein Klagelaut, der es gerade noch vermied, zum Schrei zu werden. »Sie haben Jeddin verhaftet!«
    Zum zweiten Mal an diesem Tag hatte Qinnitan das Gefühl, daß ihr Körper ihr nicht mehr gehörte. Diesmal schien er sich in eine kalte Steinstatue verwandelt zu haben, in der ihre Gedanken gefangen waren. Sie konnte nicht sprechen.
    »Es ist alles so ungerecht!« Luian schniefte und versuchte, ihr Gesicht mit dem Ärmel zu bedecken.
    »Was ... wovon sprecht Ihr?« brachte Qinnitan schließlich heraus.
    »Sie haben ihn verhaftet! Es ist
das
Gesprächsthema im Frauenpalast, was du wüßtest, wenn du zum Abendessen herauskämst, statt in deinem Zimmer zu sitzen wie ... wie eine ... wie eine Einsiedlerin.« Sie weinte wieder, als beklagte sie Qinnitans Ungeselligkeit.
    »Erzählt mir doch, was passiert ist.«
    »Ich weiß nicht. Sie haben ihn ... haben ihn verhaftet. Sein Leutnant ist jetzt Leopardenhauptmann, jedenfalls vorläufig. Dahinter steckt Vash, dieser gräßliche alte Kerl. Er hat unseren Jin immer schon gehaßt ...«
    »Oh, Götter, was sollen wir tun, Luian?« Qinnitans Gehirn arbeitete bereits, aber so matt und mutlos, als wäre schon alles entschieden.
    Luian faßte sich ein wenig, wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. »Wir dürfen jetzt nicht den Kopf verlieren. Auf gar keinen Fall dürfen wir den Kopf verlieren. Wir müssen ruhig bleiben.« Sie holte tief Luft. »Es kann ja sein, daß er irgend etwas getan hat, was gar nichts mit uns zu tun hat ... aber selbst wenn sie etwas ahnen, er wird es nie zugeben. Nicht Jeddin! Deshalb habe ich dich hierher gerufen, damit du schwörst, nichts zu sagen, auch wenn sie dir weismachen wollen, er hätte gestanden. Sag kein Sterbenswörtchen — sie lügen nur! Unser Jin würde Pinnimon Vash niemals etwas verraten, nicht mal, wenn sie ... wenn sie ihn ...« Sie begann wieder zu schluchzen.
    »Glaubt Ihr, sie würden ihn foltern? Ihn sogar töten? Nur weil er sich heimlich in den Frauenpalast geschlichen hat?«
    »Oh, ja, vielleicht schon.« Luian wedelte erregt mit den Händen. »Aber das ist nicht alles.« Sie bemerkte plötzlich, daß der stumme Knabe immer noch in der Tür stand und auf weitere Befehle wartete. Sie winkte ihn ärgerlich weg.
    »Was heißt, das ist nicht alles? Wollt Ihr sagen, er hat noch Schlimmeres getan, als einer Braut des Autarchen eine Liebeserklärung zu machen? Als sich in den Frauenpalast zu schleichen, wo jeder ganze Mann auf der Stelle getötet wird? Bei den Bienen, was hat er denn sonst noch verbrochen?«
    Luian — oder besser, dieser vertraute und gleichzeitig fremde Mann, der wie Luian redete — starrte sie an, brach dann erneut in Tränen aus. »Er wollte ... er ... er wollte den Goldenen stürzen. Den Autarchen!«
    Qinnitan glaubte, ihr Herz wäre für immer stehengeblieben. Sie brachte nur ein ersticktes Flüstern heraus, was wohl auch ganz gut war. »Er ... wollte den Autarchen töten?«
    »Nein, nein!« Luian guckte entsetzt. »Nein, er würde niemals die Hand gegen den Goldenen erheben. Er hat doch einen

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