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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Briony selbst und nutzte außerdem die Gelegenheit, die Prinzregentin zu fragen, wo innerhalb der Hauptburg bestimmte Edelleute und ihre Familien untergebracht worden waren, und sich in einigen Fällen mit ihr darüber zu streiten. Als beide laut wurden, beobachtete sie Merolannas kleine Dienerin mit angstgeweiteten Augen, als ob in dieser plötzlich so fremden und unsicheren Welt jeden Moment etwas Schreckliches geschehen könnte.
     
    Zum Umfallen müde und in dem Wissen, noch einen langen Nachmittag vor sich zu haben, ging Briony auf dem Rückweg von Merolannas Gemächern durch die Ahnengalerie; ausnahmsweise hatten ihre Wachen keine Mühe, mit ihr Schritt zu halten. Obwohl sie die Bilder ihrer prächtig gewandeten Ahnen schon so oft gesehen hatte, daß sie meistens kaum noch hinguckte, hatte sie heute das Gefühl, daß all diese Gesichter mißbilligend auf sie herabblickten. In Königin Lilys gütigen Augen schien Enttäuschung zu stehen, und selbst die mysteriöse Königin Sanasu wirkte noch verzweifelter als sonst.
    Es war erst wenige Monate her, daß Kendrick ermordet worden war, dachte Briony, und noch nicht einmal ein Jahr, daß ihr Vater noch selbst auf dem Thron gesessen hatte, aber was war passiert? Das Königreich wankte, und das war mehr als nur eine Metapher, wie der heutige Tag eindrucksvoll bewiesen hatte. Es fiel schwer, nicht zu glauben, daß das Erdbeben eine Zornesäußerung der Götter gewesen war, eine Warnung des Himmels. Briony wußte, ein gut Teil der Schuld würde ihr zufallen: Sie und Barrick haßten es, wenn man sie als Kinder bezeichnete, aber was waren sie anderes gewesen? Sie hatten zugelassen, daß ihnen das, was ihrer Obhut anvertraut war, aus den Händen glitt, daß es schutzlos dalag und verrottete wie ein weggeworfenes Spielzeug. Wie der Leichnam eines Ermordeten auf einem Feld ...
    In derlei düstere Gedanken versunken, ging sie, als die schwarzgekleidete Gestalt aus einem Seitengang trat, im ersten Moment selbstverständlich davon aus, daß eine ihrer Vorfahrinnen, vielleicht die ruhelos trauernde Sanasu selbst, erschienen war, um mit dem Finger auf sie zu zeigen. Die erste Reaktion ihrer Wachen hingegen war — zumal in Zeiten wie diesen — praktischerer Natur: Sie scharten sich sofort um sie und richteten die Piken auf die verschleierte Frau.
    »Seid Ihr's, Prinzessin?« flüsterte die Gestalt und schlug den Schleier zurück.
    Das Prickeln der Härchen auf Brionys Haut ließ etwas nach, als sie das Gesicht erkannte. »Elan? Elan M'Cory?«
    Hendon Tollys Schwägerin nickte. Ihr junges Gesicht war von Schmerz gezeichnet — einem Schmerz, den Briony wiedererkannte, weil sie ihn nach dem Tod ihres Bruders selbst durchlebt hatte. »Gailon ist tot«, sagte das Mädchen.
    Briony winkte die Wachen beiseite. Einen Moment lang erwog sie, ein paar höfliche Floskeln von sich zu geben; daß man sich noch nicht sicher sein könne, daß schließlich noch niemand aus Gailons näherer Umgebung den Leichnam gesehen habe. Doch die Verzweiflung in den Augen des Mädchens — Augen, die dennoch ohne Tränen waren — rührte sie irgendwo tief drinnen, dort, wo Verstehen und Mitgefühl angesiedelt waren. »Ja. Allem Anschein nach jedenfalls.«
    Elan lächelte, ein seltsam grimmiges Lächeln, als wäre sie gerade in etwas viel Umfassenderem bestätigt worden als nur in ihrer schlimmen Ahnung, Gailon Tolly betreffend — in einer düsteren Grundeinstellung zum Leben vielleicht. »Ich wußte es. Ich weiß es schon seit Tagen.« Wieder fixierten die Augen Briony. »Ich habe ihn geliebt. Aber er hat sich nicht für mich interessiert.«
    »Es tut mir leid ...«
    »Vielleicht ist es besser so. Jetzt kann ich auf zulässige Art um ihn trauern. Eine Frage noch. Ihr müßt mir die Wahrheit sagen.«
    Briony blinzelte. Wer
war
dieses Mädchen? »Ich bin allein meinem Vater, dem König, rechenschaftspflichtig. Und natürlich den Göttern. Aber nur zu — stellt Eure Frage.«
    »Habt Ihr ihn getötet, Briony Eddon? Habt Ihr den Auftrag dazu erteilt?«
    Es war schockierend, so direkt gefragt zu werden. In dem winzigen Moment zwischen Hören und Antworten ging ihr auf, wie sehr sie sich an respektvolle Umschweife gewöhnt hatte — mehr, als ihr bewußt gewesen war. »Nein, natürlich nicht. Die Götter wissen, daß Gailon und ich nicht immer einer Meinung waren, aber ich würde nie ...« Sie hielt inne, um Atem zu holen und nachzudenken, was sie sagen und tun sollte. Die Wachen, die nur wenige Schritt weiter

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