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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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zu können.
    Seht mich doch an!
dachte er.
Seht doch, wie weit ich gekommen bin, seit ich diese Luft gekostet habe — wie hoch hinauf!
Das war mehr als nur eine poetische Metapher. Er stand auf einem Söller des Winterturms, fast ganz Südmark unter sich. Nur der schwarze Wolfszahnturm dräute über ihm wie ein gestrenger Vater.
Vor einem Monat noch war ich ein Niemand.
Er sah, wie die überladenen Boote drunten am Wassertor des Winterturms von Soldaten aufs Wasser zurückgeschoben wurden, hörte ganz schwach flehende Stimmen, das Weinen von Kindern.
Ich hätte jetzt um Zuflucht gebettelt wie sie alle. Statt dessen ist mir mein Platz sicher. Die Eddons geben mir Quartier und Unterhalt — auf Befehl von Prinzessin Briony persönlich. Ah, die Götter waren mir hold, vor allem Zosim, der Schutzpatron der Poeten.
    Dennoch wünschte er, die Götter würden irgend etwas gegen diesen Krieg tun, der so viele verängstigte Seelen in die Burg getrieben hatte, daß er sein Bett jetzt wieder in Wechselschichten mit anderen teilen mußte, so wie früher im
Sauschwanz.
Einen Moment lang überfiel ihn echte Angst.
    Die Götter wollen mich doch wohl nicht veräppeln? Sie haben mich doch nicht so hoch empor geführt, nur um mich durch die Hand von Hexern und Geisterwesen umkommen zu lassen?
Er schüttelte den Kopf. Der trübe Tag hatte ihm düstere Gedanken in den Kopf gesetzt.
Briony Eddon selbst hat mich erkoren, protegiert mich. Sie hat meine künstlerischen Qualitäten erkannt und mich unter ihren Schirm und Schutz gestellt. Und jeder weiß, daß diese Festung uneinnehmbar ist — der Ozean wird sie schützen, so wie mich die Prinzessin schützt.
    Nachdem die schwarzen Gedanken solchermaßen gebannt waren, nahm Kettelsmit einen ausgiebigen Schluck von dem Wein und reichte den schweren Krug dann Puzzle, der ihn mit beiden Händen greifen mußte und vor Anstrengung zitterte, als er ihn an den Mund hievte. Der magere Hofharr schwankte wie ein Baumschößling.
    »Nur gut, daß Ihr das Ding da haltet«, sagte Kettelsmit. »Der Wind bläst ganz schön heftig.«
    »Feine Sache.« Der alte Mann wischte sich den Mund. »Wein, meine ich. Wärmt einen auf. Also, mein Bester, ich habe Euch nicht nur der Aussicht wegen hier heraufkommen lassen, obwohl sie wahrlich lohnend ist. Ich brauche Eure Hilfe.«
    Kettelsmit zog eine Augenbraue hoch. »Meine Hilfe?«
    »Ihr seid doch Dichter, oder nicht? Das Winterfest steht vor der Tür. Es wird natürlich ein Festmahl geben. Ich muß sie unterhalten, die Prinzregentin und die Gäste. Die gute alte Herzogin wird auch dasein.« Er lächelte gedankenverloren. »Sie liebt meine Narreteien. All die Mächtigen und Edlen — sie werden dort versammelt sein. Ich muß ihnen etwas Besonderes bieten.«
    Kettelsmit sah wieder auf die Bucht hinab. Ein kleines Boot war gekentert; eine Familie trieb im aufgewühlten Wasser. Es schien alles sehr weit weg, dennoch war Kettelsmit froh, daß zahlreiche andere Wassergefährte, vor allem Skimmerboote, auf die Stelle zustrebten. Ein Skimmer hielt mit dem einen langen Arm das Ruder seines winzigen Segelboots, reckte den anderen über Bord und fischte etwas, das wie ein kleines Kind aussah, aus dem graugrünen Wasser. »Verzeihung«, sagte Kettelsmit. »Ich verstehe gar nichts.«
    »Ein Lied, Mann, ein Lied!« In der Stimme des alten Mannes lag eine solche Intensität, daß Kettelsmit den Blick von der Rettungsaktion losriß. Puzzles faltiges Gesicht schien von innen her zu glühen. »Ihr müßt etwas Geistreiches schreiben!«
    Wieviel Wein hat der alte Knabe getrunken?
»Ich soll Euch ein Lied schreiben?«
    Puzzle schüttelte den Kopf. »Die Melodie schreibe ich. In jüngeren Jahren war ich berühmt für meine Weisen. Und auch für meine Stimme.« Seine Gesichtszüge erschlafften. »Werdet niemals alt. Hört Ihr? Werdet bloß nie alt.«
    Tatsächlich konnte sich Kettelsmit Altsein gar nicht vorstellen, obwohl er wußte, es lag irgendwo in der Ferne, so wie ihm bekannt war, daß es weiter im Süden noch einen Kontinent gab, einen Weltteil, den er nie gesehen und über den er nie groß nachgedacht hatte, außer daß es ihm gelegentlich ganz zupaß gekommen war, bei anderen Dichtern eine dort angesiedelte Metapher — »so dunkelsüß wie xand'sche Trauben« — zu entlehnen. So war es mit dem Alter auch. »Welche Art Lied wollt Ihr denn vortragen?«
    »Nichts, was die Leute zum Lachen bringt. Dies ist nicht die Zeit der Leichtigkeit.« Der alte Mann nickte, als wäre nicht

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