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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Türvorhang nach außen bauschte. Ihr Herz hämmerte. Sie preßte das Gesicht an die Wand, zwängte die Schulter in den Spalt zwischen Wandteppich und Wand und betete. Diesmal waren die Schritte langsamer, so langsam, daß Qinnitan ihre ganze Kraft daransetzen mußte, das Gesicht zur Wand gekehrt zu lassen, sich nicht zu rühren. Ob es daran lag, daß der Seitengang so dunkel war, oder ob die Gärtnerin in Gedanken noch ganz bei dem war, was sie eben getan hatte — sie ging weiter. Qinnitan horchte, bis die Schritte nicht mehr zu hören waren.
    Ihr war zum Heulen zumute, aber es fühlte sich an, als ob ein kaltes Feuer durch sie hindurchgefegt wäre und alle Tränen weggesengt hätte. Selbst ihr Mund war ausgetrocknet. Wo sollte sie hingehen? Was sollte sie tun?
    Sie blieb noch einen Moment in dem Seitengang stehen, trat unschlüssig von einem Fuß auf den anderen. War Luian nur Tanyssas erster Auftrag gewesen? War die Gärtnerin jetzt auf dem Weg zu Qinnitans Zimmer?
    Dorthin kann ich nicht zurück. Aber wo soll ich hin? Wo kann ich mich verstecken?
Sie dachte kurz an den Ruhepavillon im Duftgarten, den Jeddin für ihr Stelldichein gewählt hatte, begriff dann aber mit Schrecken, daß dieser Ort den Vollstreckern des Autarchen inzwischen nur zu bekannt sein mußte. Tatsächlich gab es für sie kein Versteck, gar keins.
Sie werden den ganzen Palast umdrehen wie ein Schmuckkästchen, um mich hervorzuschütteln.
    Ihre einzige Hoffnung war es, irgendwie aus dem Frauenpalast hinauszukommen. Aber wie? Wie, bei allen heiligen Bienen, sollte sie an den Wächtern vorbeikommen, die doch zweifellos nach ihr Ausschau hielten?
    Jeddins Siegelring! Sie griff in ihren Ärmel, ertastete den Ring und seine Kette in der kleinen Geheimtasche, die sie dort eingenäht hatte. Eine Vorahnung und natürlich das Wissen, daß es im Frauenpalast keine Privatsphäre gab, hatten sie davon abgehalten, ihn in ihrem Zimmer zu verstecken.
Aber was kann er mir nützen? Selbst wenn sie mich wider alle Wahrscheinlichkeit nicht schon suchen, um mich ebenfalls hinzurichten, selbst wenn sie meinen Namen nicht vorliegen haben, werde ich ihnen doch sofort auffallen, wenn ich versuche, mit einem gefälschten Auftrag von Jeddin durchs Tor zu kommen.
    Jetzt endlich kamen die Tränen, heiße Tränen der Hilflosigkeit, die auf ihren Wangen brannten. Konnte sie darauf setzen, daß Jeddin zwar Luian verraten hatte, sie aber nicht? Nein. Diese Chance war verschwindend klein.
    Du kannst nicht hier herumstehen und heulen!
ermahnte sie sich.
Dummes Ding! Verschwinde aus diesem Flur! Versteck dich!
Aber wo? Sie war mitten im Palast des Autarchen, und für ihn war sie jetzt eine Feindin. Der mächtigste Mann der Welt wollte ihren Tod, und es würde weder ein schneller noch ein schmerzloser Tod sein.
    Gift, der Schrecken des Frauenpalastes, schien ihr plötzlich ein Segen. Hätte sie welches besessen, hätte sie es auf der Stelle getrunken.

36

Zu Füßen des Riesen
    Schwarzer Speer:
Er ist mit Blut und Fett beschmiert,
Er ist Feuer in der Luft,
Er trägt die Namen »Eine Rippe« und »Blume der Sonne«.

Das Knochenorakel
    »Ich bin beeindruckt«, sagte Kettelsmit, als er von ihrem hohen Ausguck auf das kabbelige Wasser hinunterschaute. Die Buchtenge zwischen der Festung und Südmarkstadt wimmelte von kleinen Booten, ungewöhnlich bei so unruhigem Wetter, aber nicht verwunderlich in so unruhigen Zeiten: Jetzt, da der Dammweg zerstört war, mußte jeder, der von der Stadt auf die Burg oder von der Burg in die Stadt wollte, per Boot übersetzen und den hohen, gischtgekrönten Wellen trotzen. »Ich dachte, die Jahreszeitentürme darf niemand betreten, der nicht zum königlichen Haushalt gehört.«
    »Ich
gehöre
zum königlichen Haushalt.« Puzzle richtete sich zu voller Größe auf, schaffte es aber nicht lange, gerade zu stehen; schon nach wenigen Augenblicken krümmten sich seine Schultern wieder, und er ließ den Kopf hängen. »Ich bin schließlich der Hofnarr des Königs. Und wenn Olin zurückkehrt, werde ich wieder in Ansehen stehen.«
    Falls dieser Tag je kommt,
dachte Matty Kettelsmit mitleidig. Ihn dauerte der alte Knabe, der nicht einsehen wollte, daß er die königliche Gunst verloren hatte, aber er wußte, ihm selbst ginge es nicht anders. Wenn einen die königliche Familie auserkor, war das wie Atemluft für einen Ertrinkenden — jeder, der auch nur einen Funken Ehrgeiz im Leibe hatte, würde auf ewig Wassertreten in der Hoffnung, weiter diese Luft atmen

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