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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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für all das, was er gesagt hatte, und noch mehr, aber aus irgendeinem Grund konnte sie es nicht. Kaltes Grauen hatte sie erfaßt, und sie konnte nur hinüberstarren, auf die nahezu unsichtbare Stadt — die nur eine knappe halbe Meile Wasser von dem Ort trennte, wo sie jetzt stand — und die Feuer, die im grauen Nebel lohten wie Tieraugen im dämmrigen Wald.
    Barrick
... ? dachte sie.
Aber er muß doch ...er kann doch nicht ...
    »Hoheit«, sagte Brone. »Wir sollten jetzt hinuntergehen. Wenn die Belagerung ernsthaft beginnt, müssen wir ...« Er hielt inne, als er die Tränen auf ihren Wangen sah. »Hoheit?«
    Sie tupfte sich das Gesicht mit dem Ärmel ab. Der Brokat war so rauh wie Eidechsenhaut. »Ihm wird nichts geschehen«, sagte sie, als ob Brone sie gefragt hätte. »Wir werden unsere Männer ausrücken lassen. Wir werden die Zwielichtler in Stücke hacken wie Ratten. Wir werden sie alle töten und unsere tapferen Soldaten zurückbringen.«
    »Hoheit ...«
    »Genug, Brone.« Sie versuchte, die steinerne Maske aufzusetzen — das Königinnengesicht, wie sie es bei sich nannte, obwohl sie nur Prinzessin war.
Vielleicht kann ich es ja deshalb noch nicht richtig,
dachte sie zerstreut.
Vielleicht tut es ja deshalb weh.
Vor lauter Anstrengung war ihr Ton kälter, als sie beabsichtigt hatte. »Genug geredet. Tut alles Erforderliche, um die Mauern und Tore zu sichern, und bereitet Truppen für einen Ausfall vor, für den Fall, daß Ihr Euch täuscht und wir Tyne kommen und den Kampf aufnehmen sehen. Wir sprechen uns nach dem Festmahl wieder.«
    »Festmahl?«
    »Nachdem Nynor sich solche Mühe gemacht hat, müssen die Leute doch auch essen und fröhlich sein.« Ihre Tränen waren schon halb getrocknet, und sie versuchte zu lächeln, aber es fühlte sich eher an wie ein Zähnefletschen, und sie tat nicht allzu viel, um es zu korrigieren. »Wie er gesagt hat, es ist vielleicht für einige Zeit das letzte Vergnügen, und da wäre es doch ein Jammer, die ganzen Pasteten wegzuwerfen.«

    Das erste Morgengrauen hätte Erleichterung bringen sollen, tat es aber nicht. Sie hatten standgehalten und waren noch am Leben, aber es war niemand in Sicht- oder Hörweite, mit dem sie sich hätten zusammentun können. Sie waren so einsam und verloren wie Schiffbrüchige.
    Ferras Vansen und eine Handvoll Männer — Gar Doiney, zwei weitere Kundschafter und der Ritter Mayne Calhart aus Kertewall mit seinem Knappen — hatten diese Anhöhe, einen aus der Wiese ragenden Felshügel, kaum größer als ein kleines Bauernhaus, seit Mitternacht gehalten. Sie hatten ihn, dachte Vansen, wohl vor allem deshalb zu halten vermocht, weil er am Rand des Schlachtgeschehens lag und von geringer strategischer Bedeutung war. Wobei strategische Bedeutung ohnehin nicht mehr viel besagte. Vansen wußte seit Stunden — es war so unumstößlich und unentrinnbar wie eine tödliche Wunde —, daß die Schlacht vorbei war und daß sie verloren hatten.
    Er war wütend auf sich selbst, obwohl er immer noch glaubte, daß es richtig gewesen war, die Zwielichtler bereits vor der Stadt anzugreifen. Aber es war offenbar aussichtslos, gegen diese Schattenwesen zu ziehen, wenn man nicht in der Überzahl war — oder wenigstens nach menschlichem Ermessen in der Überzahl, denn alles, was mit diesen Geisterwesen zu tun hatte, war unsicher und schwer zu kalkulieren. In den Kampfpausen plante Vansen bereits, was beim nächsten Mal zu tun wäre, wie man den Schattenwesen den Vorteil ihrer Vernebelungs- und Überrumpelungstaktik nehmen konnte, wußte dabei jedoch die ganze Zeit, daß es möglicherweise kein nächstes Mal geben würde, daß dieser Krieg vielleicht schon verloren war. Jetzt, nach Tyne Aldritchs Tod, war alles in Auflösung, und Tynes Stellvertreter, der engstirnige, phantasielose Droy von Ostlaken, würde daran auch nichts ändern können, selbst wenn er noch lebte. Tatsächlich hatte erst Droys Sturheit die Katastrophe perfekt gemacht. Als er mit den erschöpften Fußtruppen eingetroffen war und ihre Fackeln sich wie eine feurige Schlange durchs Grasland wanden, hatte Vansen einen Kundschafter ausgeschickt, um ihm mitzuteilen, daß es jetzt, da Tyne gefallen sei, keinen Sinn mehr habe, den Reitern zu Hilfe zu eilen, und daß das Beste, was Droys Fußtruppen tun könnten, darin bestehe, den Zwielichtlern in die Flanke zu fallen und sie in die verlassene Stadt zu treiben, oder aber, falls das scheitere, sich in die Hügel zurückzuziehen, um dann die zweite

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