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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Furcht in Zeiten so schlechter Neuigkeiten — durch derlei Possen nicht erheitern. Die Leute klatschten höflich, nahmen aber ihr Gemurmel wieder auf, sobald der Applaus erstorben und der jüngste Sproß des Hauses Helmingsee von den Toten auferstanden und zu seiner Mutter zurückgekehrt war, das Hirtenkostüm jetzt voller nasser Grashalme.
    Briony hatte gerade den Hofstaat entlassen, damit die Leute vor dem Festmahl noch ein wenig Zeit hatten, sich auszuruhen und umzuziehen, als sie plötzlich Fretup, Avin Brones Sekretär, dastehen und warten sah, auf eine Art, die zugleich unaufdringlich und unübersehbar sein sollte. Sie seufzte. Die Adlaten einflußreicher Männer waren meist die unerträglichsten Wichtigtuer.
    »Was will Euer Herr?« fragte sie und ließ etwas mehr Ärger durchklingen, als sie beabsichtigt hatte. »Er hätte hier sein sollen. Wenn ich so etwas über mich ergehen lassen kann, dann kann er doch wohl auch wenigstens kurzzeitig erscheinen.«
    »Ich bitte um Verzeihung, Hoheit«, sagte Fretup, ohne sie anzusehen, »aber Graf Brone wünscht Euch zu sprechen. Dringend, sagt er. Er ersucht Euch untertänigst, in den Winterturm zu kommen, so schnell es Eurer Hoheit möglich ist.«
    Sie war sofort mißtrauisch. Sie kannte Fretup nicht besonders gut. Er kam aus Brones reicher Grafschaft Landsend und galt als ehrgeizig. Konnte das ein Trick sein, um sie allein dorthin zu locken — irgendein finsterer Plan der Tollys, für den sie den Sekretär des Konnetabels gedungen hatten? Aber nicht einmal sie würden am hellichten Tag so etwas wagen. Briony befand, daß sie es mit dem Argwohn übertrieb — schließlich würden ihre Wachen dabeisein. Dennoch, es war irritierend, und sie fragte sich, ob der Konnetabel vielleicht daran erinnert werden mußte, wer hier die Regentschaft innehatte und wer nicht.
    »Ich werde kommen«, sagte sie. »Aber bestellt ihm, er muß warten, bis ich dieses abstruse Kostüm aus- und etwas Praktischeres angezogen habe.«
    »Wie heißt Ihr?« fragte sie den jungen Wachsoldaten, der darauf bestanden hatte, vor ihr den Winterturm zu betreten. Ihr war aufgefallen, daß sie über diese Männer, die ihr Leben schützten, weniger wußte als über ihr Pferd oder ihre Hunde, obwohl sie einige der Gesichter schon seit Jahren kannte.
    »Heryn, Prinzessin Briony. Heryn Millward.«
    »Und wo kommt Ihr her?«
    »Sutterwall, Hoheit. Gleich nördlich von Wildeklyff, am Sandfluß.«
    »Und wer ist Euer Herr?«
    Er wurde rot. »Ihr, Hoheit. Wir Sutterwaller unterstehen unmittelbar Südmark und den Eddons.« Er schien unsicher, fürchtete vielleicht, zuviel geredet zu haben. Die anderen drei Wachen, die inzwischen ebenfalls in den Vorraum getreten waren, sahen ihn allerdings an, als gedächten sie nachher in der Wachstube dafür zu sorgen, daß er seine Redseligkeit bereute. »Die meisten Garden kommen aus Sutterwall, Rodetrey oder einem der anderen Besitztümer der Eddons.«
    Das war nur einleuchtend. »Aber Euer Hauptmann, Vansen, der ist kein Eddon-Vasall.«
    »Nein, Hoheit. Er ist aus Dalerstroy, unser Hauptmann Vansen ... aber den Eddons treu ergeben, Hoheit.«
    Der Sergeant trat vor. »Belästigt er Euch, Hoheit?«
    »Nein, ganz und gar nicht. Ich habe ihn etwas gefragt, und er hat geantwortet.« Sie musterte den grobknochigen Sergeanten, der nervös und gereizt wirkte.
Es paßt ihm nicht, ein junges Mädchen wie mich auf dem Thron zu haben,
erkannte sie.
Er würde mir am liebsten sagen, ich solle den Mund halten und voran machen — einen weisen alten Mann wie Brone nicht warten lassen und schon gar nicht diesen Wachsoldaten hier auf Gedanken bringen, die über seinem Stand sind.
Ausnahmsweise amüsierte sie diese Haltung eher, als daß sie sie erzürnte. Schließlich gab es im Moment schlimmere Feinde und Sorgen. »Gehen wir.«
    Die Botschaft war keine List der Tollys gewesen. Avin Brone erwartete sie in dem großen Raum im dritten Stock, der einst, als der Winterturm noch bewohnt gewesen war, als Empfangsraum gedient hatte, jetzt aber vor allem als Lagerraum genutzt wurde. »Hoheit«, sagte er, »ich danke Euch. Kommt bitte mit.«
    Sie verbarg ihre Irritation, hieß ihre Wachen warten und ließ sich von ihm auf den kalten Balkon hinausführen. Als sie den Blick senkte, sah sie auf dem Bretterboden zu ihren Füßen ein Taschentuch liegen, das einen Brotkanten und ein paar Bröckchen Käse enthielt. Zuerst dachte sie, Brone selbst hätte es achtlos fallen lassen, aber das Brot war aufgeweicht

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