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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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und grau, als läge es schon ein paar Tage dort.
    »Habt Ihr mich hierher gebracht, um mir zu zeigen, daß irgendein Spion sich in den Winterturm geschlichen und sein Mittagessen hier vergessen hat?«
    Brone sah sie einen Moment lang verständnislos an, bemerkte dann das Brot in dem Taschentuch und runzelte die Stirn. »Das da? Das kümmert mich nicht — irgendein Arbeiter oder ein faulenzender Wächter, weiter nichts. Nein, Hoheit, was ich Euch zeigen wollte, ist wesentlich beängstigender.« Er zeigte über die Festungsdächer, auf den schmalen Arm der Brennsbucht und das darunterliegende Südmarkstadt. Über die Stadt breitete sich eine graue Decke, aus der nur die Tempeltürme und die Dächer der höchsten Gebäude hervorragten — eine Schicht von Nebel oder tiefhängenden Wolken, die sich weit über die Felder und das wellige Grasland hinter der Stadt erstreckte, so daß fast das ganze Gebiet diesseits der Hügel unsichtbar war. Als Briony auf diese düstere, aber nicht weiter erstaunliche Szenerie hinüberstarrte, sah sie plötzlich tief im Nebel ein paar leuchtende Stellen, als ob dort Fackeln und sogar ein paar Reisigfeuer brannten.
    »Was ist da, Graf Brone? Ich muß gestehen, ich kann nicht viel erkennen.«
    »Seht Ihr die Feuer, Hoheit?«
    »Ja, ich glaube schon. Was ist damit?«
    »Die Stadt ist leer, Hoheit, die Leute sind weg.«
    »Nicht alle offenbar. Ein paar tapfere oder törichte Seelen sind dageblieben.« Sie hätte sich um sie sorgen müssen, aber jetzt, da sie so viele vertriebene und verängstigte Menschen um sich hatte, war ihr Mitgefühl allmählich erschöpft.
    »Das hätte ich auch gedacht«, sagte Brone, »wäre nicht heute morgen diese Botschaft eingetroffen.« Er zog ein winziges Pergamentröllchen aus seiner Geldkatze und hielt es ihr hin.
    Briony studierte es mit zusammengekniffenen Augen. »Das ist von Tyne, steht da, obwohl ich ihm nie eine so kleine, säuberliche Handschrift zugetraut hätte.«
    »Zweifellos von einem Schreiber niedergeschrieben, aber es ist wirklich von Tyne, Hoheit. Lest, bitte.«
    Noch ehe sie mehr als nur ein paar Zeilen entziffert hatte, sträubten sich ihr die Nackenhaare. »Barmherzige Zoria!« Es kam nur als Flüstern heraus, obwohl es sich anfühlte, als müßte sie schreien. »Was sagt er da? Sie sind überlistet worden? Die Zwielichtler haben sich an ihnen vorbeigeschlichen und sind auf dem Weg hierher, zur Festung?« Sie las weiter, jetzt etwas erleichtert. »Aber er sagt, sie werden sie einholen — und wir sollen uns bereithalten, ihnen zu Hilfe zu eilen.« Sie kämpfte eine Panikwelle nieder. »Oh, mein armer Barrick. Von ihm steht da nichts!«
    »Ganz am Ende steht, ich soll Euch sagen, er ist unversehrt — oder war es zumindest, als das hier geschrieben wurde.« Brone sah überaus grimmig aus, wirrbärtig und finster wie einer der grauhäuptigen alten Götter, die Perin, der Herr der Blitze, gestürzt hatte.
    »Was heißt das — als das hier geschrieben wurde?«
    »Er hat die Botschaft gestern morgen abgeschickt, Hoheit. Ich habe sie eben erst erhalten, obwohl der Ort, wo sie von den Zwielichtlern getäuscht wurden, der Beschreibung nach nicht mehr als zwanzig Meilen von der Stadt liegen kann.«
    »Aber wieso haben sie sie dann noch nicht eingeholt ...?« Doch sie ahnte bereits die schreckliche Wahrheit.
    »Die Wachen haben gestern abend und bis in die Nacht Geräusche gehört, von denen sie dachten, sie stammten von irgendwelchen Verrückten, die in der Stadt zurückgeblieben wären — Waffengeklirr, Stöhnen, Schreien, seltsame Gesänge und Rufe — aber alles so leise, als käme es von hinter den geschlossenen Stadttoren ... oder von weiter weg, vom offenen Gelände hinter der Stadt.«
    »Was bedeutet das? Glaubt Ihr, Barrick und die anderen haben die Zwielichtler bereits gestellt?«
    »Ich halte es für möglich, daß sie sie eingeholt haben, Hoheit. Und ich halte es für möglich, daß sie gescheitert sind.«
    »Gescheitert ...?« Sie konnte dem Wort keine Bedeutung zuordnen. Es war kein besonders ungewöhnliches Wort, aber jetzt war es plötzlich rätselhaft, unverständlich.
    »Tyne schreibt vom Nebel des Wahnsinns, der diese Zwielichtler umgibt. Was ist das dort über der Stadt? Habt Ihr, und sei es im Winter, schon einmal Nebel gesehen, der sich noch um die Mittagszeit immer weiter verdichtet? Und wer entzündet diese Feuer?«
    Briony wollte ihm widersprechen, wollte Gründe anführen, warum sich der alte Mann irren mußte, Erklärungen

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