Die Grenze
her, daß er zuletzt andere Menschen gesehen hatte. Östlich ihres Felsbuckels, wo der Nebel noch dicht am Boden hing, spielte sich irgendetwas ab, aber die mißtönende Mischung aus Musik und Geschrei klang nicht wie irgendeine Form des Kampfes, die er kannte.
Es hörte sich an, als ob die Elben schaurig-schöne Tempelharmonien sangen, während sie die Verwundeten abschlachteten, ja, so klang es.
»Kommt runter, Hauptmann«, flüsterte Doiney auf seinem Spähposten hinter ein paar Felsbrocken ganz oben auf dem Buckel. »Sie haben immer noch Pfeile und sammeln wahrscheinlich auch die verschossenen wieder auf. Ihr kriegt noch einen ins Auge.«
Ferras Vansen wollte diesen guten Rat gerade beherzigen, als er sah, wie sich etwas über die Hangwiese bewegte, nicht auf sie zu, sondern von links nach rechts. Es war ein Mann auf einem Pferd, oder jedenfalls irgendeine berittene Kreatur. Vansen duckte sich, aber trotz des abergläubischen Schauders, der ihn zu seiner Überraschung überlief — er hätte nicht gedacht, daß in ihm noch etwas lebendig genug war, um sich zu fürchten —, konnte er den Blick nicht von der Erscheinung lösen, die durch den brodelnden Bodennebel an ihnen vorüberzog. Die Furcht schlug jäh in Verblüffung um, als die Gestalt in einen schwachen Sonnenlichtkegel glitt und er sie deutlich sehen konnte.
»Bei Perin Himmelshammer, es ist der Prinz! Barrick! Prinz Barrick, halt!« Zu spät merkte Vansen, daß er soeben mögliche Lösegeldjäger auf das wertvollste Pfand hier auf dem Schlachtfeld aufmerksam gemacht hatte, doch die Schattenwesen schienen bislang nicht sonderlich interessiert daran, irgendwelche Feinde, gleich welchen Standes, lebend zu ergreifen.
»Runter!« Doiney zerrte an seinem Bein, aber Vansen beachtete es gar nicht. Die mysteriöse Gestalt, die so ganz und gar wie der Prinz aussah, segelte auf einem hellgrauen Pferd vorbei, kaum zwanzig Schritt von der Stelle, wo Vansen stand und sie verblüfft anstarrte. Er rief wieder, aber Barrick Eddon oder sein gespenstischer Doppelgänger sah nicht einmal her. Das vertraute Gesicht war entrückt, der Blick trotz des dazwischenliegenden Nebels starr auf die Berge im Nordwesten gerichtet.
»Bei allen Göttern und ihren Müttern«, sagte Vansen, »er reitet in die falsche Richtung — direkt auf die Schattengrenze zu.« Er dachte an Briony und das Versprechen, das er ihr gegeben hatte, aber Doiney zerrte jetzt wieder an ihm, erinnerte ihn daran, daß er noch andere Pflichten hatte. »Es ist der Prinz«, erklärte er dem Anführer der Kundschafter. »Er reitet nach Westen. Er muß verwirrt sein — er reitet genau in Richtung der Schattenlande. Kommt mit, wir müssen ihn aufhalten.«
»Das ist nur ein Trugbild«, sagte Doiney, das Gesicht zu einer panischen Grimasse verzerrt. »Ein Elbentrick. Hier irgendwo sind Männer, die unsere Hilfe brauchen, und wenn nicht, müssen wir nach Osten reiten und versuchen, zur Festung zurückzukommen.«
»Ich kann nicht. Ich habe es versprochen.« Vansen kletterte zu dem Felsspalt hinab, wo sein Pferd versteckt war. »Kommt mit mir, Gar. Ich will Euch hier nicht allein lassen.«
Doiney und ein zweiter Kundschafter, der jetzt über die Felsen guckte, um festzustellen, was da los war, schüttelten vehement den Kopf. Doiney machte das Zeichen gegen das Böse. »Nein. Das ist Euer Tod oder Schlimmeres. Wir brauchen Euer Schwert, Hauptmann. Bleibt bei uns.«
Er hielt es nur kurz aus, in ihre müden, angstvollen Gesichter zu blicken. »Ich kann nicht.« Aber welches Versprechen war wichtiger, das, das er der Prinzessin gegeben hatte, oder der Schwur vor dem alten Donal Murry, die königliche Garde als seine Familie anzusehen und seinen Männern ein pflichtbewußter Vater zu sein? Er hatte wenig Hoffnung, daß die Kundschafter andere Überlebende finden würden, aber vielleicht würde es ihnen ja gelingen, nach Osten zu flüchten, wenn ihm auch klar war, daß ihre Chancen ohne ihn wesentlich geringer waren: Er war der beste Schwertkämpfer unter ihnen und der einzige mit voller Rüstung.
Er zögerte wieder, sah aber Briony Eddons Gesicht vor sich, wie es ihn anklagte, ihn auf ewig verfolgte. »Ich kann nicht«, sagte er schließlich noch einmal und führte sein Pferd auf die neblige Wiese hinaus. Er schwang sich in den Sattel und sprengte davon. Barrick oder das Wesen, das aussah wie er, war verschwunden, aber die Hufspuren des Pferdes waren frisch.
»Verlaßt uns nicht, Hauptmann!« rief einer der
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