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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Fußabdrücke aufwies, so als ob hier schon mehrere Tage niemand mehr aus- und eingegangen wäre. Chert rüttelte noch einmal vergebens an der Tür. Offenbar hatten die Bediensteten während der langen Abwesenheit ihres Herrn das Haus einfach abgesperrt und sich selbst überlassen.
    Entmutigt hob er zu einer Erklärung an, begriff dann aber, daß der seltsame Gil nichts sah, was einer Erklärung bedurfte. Chert guckte zum Holzbalkon im Obergeschoß hinauf. Vielleicht waren die Läden der Balkontür ja nicht so gründlich gesichert.
    »Könnt Ihr Hettern?« fragte er. Gil sah ihn nur auf jene irritierend ausdruckslose Art an, die ihm inzwischen schon vertraut war. »Macht nichts. Ich tu's selbst. Ich habe ja, bei den Erdalten, in letzter Zeit genügend Übung gehabt.«
     
    Auf dem Balkon angelangt, mußte Chert erst einmal verschnaufen. Eine halbe Nacht Schlaf war längst nicht genug gewesen, und seine Muskeln zitterten von der Anstrengung. Dann stellte er jedoch zu seiner Freude fest, daß er die Klinge seines Arbeitsmessers zwischen die Läden schieben und den Riegel auf der Innenseite emporhebeln konnte. Er schlüpfte so leise hinein, wie das angesichts seines immer noch pfeifenden Atems möglich war, und blieb in dem vollgestopften Raum erst einmal stehen, um zu horchen. Überall drängten sich Zeugnisse der verschiedenen Interessen und Obsessionen des Arztes: Bücher und Behältnisse auf jeder waagrechten Fläche, überquellende Säcke und Kästen, Apothekerschränke, deren Schubladen offenstanden, als hätte Chaven noch hastig seine sämtlichen Besitztümer durchsucht, ehe er zur Tür hinausgestürzt war. Viel Staub lag allerdings nirgends; Chert befand, daß die Haushälterin noch einmal ordentlich saubergemacht haben mußte, ehe sie weggegangen war. Er fühlte sich wie ein Dieb und stand eine ganze Weile einfach nur da, bis er sich sicher war, daß sich nirgends etwas regte. Er dachte kurz an den Stein, den Flint nach Hause gebracht hatte — so lange schien das schon her! —, aber in diesem Durcheinander etwas zu finden, würde Stunden, wenn nicht gar Tage dauern. Chert eilte die Wendeltreppe hinab und ließ Gil zur Vordertür herein.
    »Folgt mir«, erklärte er ihm: Er konnte nicht davon ausgehen, daß für diesen seltsamen, fischäugigen Menschen irgend etwas auf der Hand lag. Er führte Gil über mehrere Stockwerke ins allerunterste hinab, wo er vor Schreck fast aufschrie, als aus dem Schattendunkel etwas Pelziges auf ihn zugehuscht kam, aber es war nur eine schwarz-grau-gefleckte Katze, die stehenblieb und ihn auf ähnlich hochmütige Art anstarrte wie Gil. Sie wirkte gesund und wohlgenährt. Er fragte sich, ob sie die Vorratskammer gefunden hatte und es sich jetzt in dem leeren Observatoriumsgebäude richtig gemütlich machte.
    »Freut mich«, sagte Gil, als sie alle drei reglos am Fuß der Treppe standen. Er sprach ganz offensichtlich mit der Katze. Das Tier schien nicht weiter beeindruckt; mit hocherhobenem Schwanz schnürte es an ihnen vorbei und die Treppe hinauf.
    In dem kargen Gang des untersten Kellergeschosses hörte Chert durch eine kleine, unauffällige Tür ein Geräusch, das ihn stehenbleiben und seinen Gefährten am Ärmel packen ließ. Unter anderen Umständen hätte Chert gesagt, daß in dem Raum jemand stöhnte, obwohl es nicht gerade menschlich klang, aber im verlassenen Haus eines Mannes mit so vielen geheimnisvollen Interessen war er sich nicht so sicher. Er wußte nur, daß er nichts damit zu tun haben wollte, selbst wenn das Geräusch nur von irgendeiner mechanischen Apparatur des Arztes kam, einem Gewirr von Lederschläuchen, Blasebälgen und Glasröhrchen. Mit immer noch stolperndem Herzen zog er Gil an der Stelle vorbei und zu der Tür am Ende des Gangs, wo die Glockenschnur hing. Es war eine Erlösung, die Tür hinter sich zuzumachen, endlich dem leeren Haus entronnen und in den sauberen, wenn auch primitiven Stollen zu sein, die er so gut kannte.
    »Das hier dürfte nicht tiefer sein als der Kerker«, flüsterte er seinem Gefährten zu. »Könnt Ihr's aushalten?« Gil nickte.
    »Gut. Dann kommt. Wir haben noch einen weiten Weg.«
     
    Chert hatte weder Zeit noch Lust, wegen eines Stücks Leuchtkoralle bei Block vorbeizuschauen, deshalb bediente er sich einer konventionellen, stark rußenden Öllaterne, um Gil unter der Brennsbucht hindurchzuführen. Bei anderer Gelegenheit hätte Chert es interessant gefunden, diese alte Straße zu nehmen, die aus einer Zeit stammte, da die

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