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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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uns verfolgt hat, tun konnte, was auch immer er vorhatte.« Sie bemühte sich, wie eine Königin zu klingen, hoheitsvoll und selbstsicher.
    Aber ich bin ja so eine Art Königin, oder? Jedenfalls war ich es.
Aber sie hatte sich nie so gefühlt, keinen Augenblick.
    Der Kapitän wischte das unwichtige Detail dieser Verfolgung mit einer Handbewegung beiseite. »Hier im Hafen wimmelt es von solch perversem Abschaum und noch schlimmeren Kerlen, glaubt mir. Nein, was ich nicht verstehe, ist, warum wir ohne Hauptmann Jeddin ablegen sollen. Ich frage Euch noch einmal, wisst Ihr irgend etwas darüber?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nur, daß er mir gesagt hat, ich solle zu Euch gehen und mit Euch fahren, wohin Ihr mich auch immer brächtet. Ihr und Eure Männer würdet mich vor seinen Feinden beschützen.« Sie atmete tief und zittrig ein, froh, daß sie Vorwand genug hatte, nervös zu sein. »Bitte, Kapitän, sagt mir, was Hauptmann Jeddin schreibt.«
    Axamis Dorza nahm den Brief mit seinen dicken Fingern und kniff die Augen zusammen. Sie waren von einem so dichten Faltennetz umgeben, daß er von der Nase aufwärts wie ein Urgroßvater aussah, aber er war wohl noch wesentlich jünger. »Da steht nur: ›Bringt meine Freundin Qinnitan nach Hierosol. Alle anderen Pläne müssen hintanstehen. Fahrt heute nacht noch los, wir treffen uns dort.‹ Aber wo will er uns treffen? Hierosol ist nur wenig kleiner als das Große Xis! Und warum sollen wir nach Eion hinübersegeln, statt einfach einen anderen Hafen irgendwo an der Küste anzusteuern und dort auf ihn zu warten?«
    »Ich weiß es nicht, Kapitän.« Sie hatte plötzlich das Gefühl, sie könnte jeden Moment wieder vor Erschöpfung zusammenbrechen. »Ihr müßt tun, was Ihr für richtig haltet. Ich gebe mich und meinen Diener in Eure Hände, wie Hauptmann Jeddin es wollte.«
    Der Kapitän sah stirnrunzelnd auf den Siegelring, den er in der anderen Hand hielt. »Ihr habt sein Siegel und den Brief. Wie könnte ich an Eurem Wort zweifeln? Trotzdem ist es sonderbar, und den Männern wird nicht wohl dabei sein.«
    »Der Palast ist derzeit ein unruhiger Ort«, sagte sie, so bedeutsam sie irgend konnte. »Vielleicht werden Eure Männer ja ganz froh sein, das Große Xis für eine Weile hinter sich zu lassen.«
    Dorza musterte sie scharf. »Wollt Ihr sagen, es gibt Wirren im Palast? Hat unser Herr irgend etwas damit zu tun?«
    Er hatte angebissen; jetzt durfte sie nicht zu fest an der Schnur ziehen. »Mehr habe ich nicht zu sagen, Kapitän. Dem Weisen sagt ein Wort so viel wie ein Gedicht.«
    Er ging hinaus. Qinnitan fiel auf das schmale Bett und hatte nicht einmal mehr die Kraft, dagegen zu protestieren, daß Spatz sich auf dem Fußboden zusammenrollte, als wäre er wirklich ihr Sklave. Aus dem Wirrwarr in ihrem Kopf hob sich plötzlich die Stimme der Orakelpriesterin Mudry hervor:
    »Du mußt dich daran erinnern, wer du bist, Kind. Und wenn der Käfig offen ist, mußt du losfliegen. Er wird sich nicht zweimal öffnen.«
    War es das, was die alte Frau gemeint hatte? Qinnitan konnte nicht mehr denken. Sie war zu müde.
Ich fliege los, Mutter Mudry. Oder versuche es jedenfalls.
    Nach wenigen Atemzügen war sie eingeschlafen.
    Sie erwachte nur einmal kurz. Über ihrem Kopf patschten bloße Füße über die Decksplanken, und laute Stimmen riefen Kommandos und sangen Lieder vom harten Leben auf See, während die Besatzung die
Morgenstern
für die Reise nach Hierosol klarmachte.

39

Winterfest
    Wintertanz:
Staub, Staub, Eis, Eis,
Sie trägt die Knochen als Augen,
Sie wartet, bis das Singen endet.

Das Knochenorakel
    Puzzle war überraschend gut bei Stimme, nur ein leichtes Zittern verriet seine Jahre. Ansonsten hätte Briony glauben können, die Zeit hätte die Richtung gewechselt, und sie wäre wieder das kleine Mädchen, das auf dem Schoß seines Vaters saß und gemeinsam mit allen anderen den Schutz und die Wärme des riesigen Speisesaals genoß, während draußen der Wind wütend an den Dächern rupfte.
    Doch diese Zeiten waren vorbei, machte sie sich klar. Nichts würde sie zurückbringen. Und wenn Tyne die Schlacht wirklich verloren hatte, würde vielleicht bald schon niemand mehr leben, der sich an diese Zeiten erinnerte.
    Puzzle schlug seine Laute und fuhr fort, die lange, traurige Geschichte vom Prinzen Caylor und der verwundeten Maid vorzutragen.
»... Die Maid, so rot von Blut, sein Aug gewahrt«,
    besang der alte Hofnarr gefühlvoll die Ankunft des Ritters in der Feste des Ewigen

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