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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Cusy?« Der Wächter machte eine winkende Handbewegung. »Wollen die Königin des Frauenpalasts doch nicht verärgern, was?« Er trat zur Seite und beäugte Qinnitan gelassen, aber forschend, als spürte er, daß mit ihr etwas nicht stimmte. Sie schlug die Augen nieder und sprach im stillen die Worte des Bienenhymnus, während Spatz sie an dem massigen Wächter vorbei und hinter die Hökerin lotste, die jetzt passieren durfte, da man bei ihr offenbar nichts Verbotenes gefunden hatte.
    »Es heißt, sie waren einmal ein Liebespaar«, sagte einer der Wächter, die den Karren durchsucht hatten, leise, als er der Hökerin den Weg freigab. Qinnitan erschrak, merkte dann, daß er mit dem anderen Wächter redete.
    »Er? Und der Abendstern?« fragte sein Kamerad ebenso leise. »Das ist nicht dein Ernst.«
    »Das behaupten sie aber.« Die Stimme des ersten Wächters senkte sich zu einem Flüstern — Qinnitan verstand nur Fetzen von dem, was er sagte, ehe sie die beiden zu weit hinter sich gelassen hatte. »Aber selbst wenn er ihr immer noch etwas bedeuten würde, könnte sie ihm jetzt nicht helfen. Nichts zwischen den Meeren kann ihm noch helfen ...«
    Jeddin? Sprachen sie von Jeddin?
    Qinnitan fühlte sich so hohl und ausgebrannt, als wären all ihre Gefühle weggesengt worden. Die Welt war ja schon verrückt genug gewesen, aber heute hatte sie einen Grad von Irrsinn erreicht, den Qinnitan nie für möglich gehalten hätte.
     
    Es war ein warmer Abend, und die Straßen waren voller Menschen. Die große Straße vor dem Frauenpalast säumten viele teure Läden und Teehäuser — die Lage in unmittelbarer Palastnähe war bei Gewerbetreibenden jeder Art unendlich begehrt —, und hier draußen in diesem lärmenden, fröhlichen Getriebe zu sein, frei, erfüllte Qinnitan mit solcher Erleichterung und Freude, daß es sie den Horror beinah vergessen machte, aber das Gefühl hielt nicht lange an. Nicht nur war sie Zeugin der Ermordung einer Person geworden, die ihr nahestand, sie hatte jetzt auch noch eins der strengsten Gesetze des Autarchen gebrochen. Selbst wenn man sie vielleicht durch irgendeinen merkwürdigen Zufall am Leben gelassen hätte, trotz Luians und Jeddins Verbrechen und ihrer Verbindung zu beiden — in dem Moment, in dem sie durch dieses Tor gegangen war, hatte sie sich für immer mit Schuld befleckt. Der Autarch hatte mit Sicherheit keine Verwendung für eine befleckte Braut aus einer unwichtigen Familie.
    Es ist, als wäre ich tot,
dachte sie.
Ein Geist im Wüstenwind.
Sie fühlte sich ganz seltsam, leer und euphorisch zugleich.
    Sie schlängelten sich durchs Gewimmel, von dem Marktviertel mit seinen Hängelaternen hinunter in Richtung Hafen. Die Menge auf den Straßen wurde immer unfreundlicher, das ungesetzliche Treiben immer unverhohlener, die Atmosphäre immer bedrohlicher. Als sie durch eine enge Gasse gingen, wo nur ein klein wenig Licht durch die halbverdunkelten Fenster eines ganz am Ende gelegenen Teehauses drang, wurde ihr klar, daß sie hier kaum weniger gefährdet waren als im Herzen des Autarchenpalasts. In Frauenkleidern hätte sie sich niemals in eine solche Gegend gewagt, aber es gab hier jede Menge unangenehmer Gestalten, die mit zwei hübschen Jungen ebenso zufrieden wären — zumal mit solchen, die vermeintlich nicht um Hilfe rufen konnten.
    Spatz spürte die Gefahr ebenfalls — er hätte taub und blind sein müssen, um sie nicht zu bemerken — und blieb willig an Qinnitans Seite. Als sie aus einer weiteren engen, kaum beleuchteten Gasse auf die Segelmacherstraße hinaustraten, eine breite Straße, die zu den Werften und nächstgelegenen Hafenkais führte, stand da plötzlich eine lange Gestalt, als ob sie auf sie gewartet hätte.
    »Hallo, ihr Kleinen.« Der Fremde trug Seemannskleidung, Hosen, die ihm kaum über die Knie gingen und ein Tuch um den Kopf, aber seine Sachen waren zerrissen, und seine Stimme zitterte wie die eines Kranken. »Was führt euch denn mitten in der Nacht hierher? Habt ihr euch verlaufen?« Er trat einen Schritt auf sie zu. »Kommt, laßt euch helfen.«
    Qinnitan zögerte nur kurz — er stand zwischen ihnen und ihrem Ziel, aber hinter ihnen drohte der Zorn des Autarchen, und sie konnten nicht zurück —, packte dann Spatz' Hand und stürmte los, genau auf den Fremden zu. Der Junge hing einen Moment schwer an ihrer Hand, machte dann einen Satz und rannte neben ihr her. Der Mann hatte die Arme ausgebreitet, die tief eingesunkenen Augen aber verdutzt aufgerissen. Als

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