Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Schattendunkel trat. Das Herz schlug ihr im Hals, und sie erkannte den Mann gerade noch rechtzeitig, ehe ihm der junge Millward die Pikenspitze seiner Hellebarde ins Gedärm rammte.
    »Halt!« rief sie.
»Chaven?
Barmherzige Zoria, was tut Ihr hier? Ihr hättet zu Tode kommen können! Wo wart Ihr überhaupt?«
    Der Arzt starrte erschrocken und etwas beschämt auf die scharfe Pikenspitze, die vor seinem Bauch schwebte. Als er den Blick hob und Briony ansah, bemerkte sie, daß er blaß und verquollen war, mit dunklen Augenringen, und daß er sich seit Tagen nicht mehr rasiert hatte. »Ich bitte um Entschuldigung, daß ich Euch erschreckt habe, Prinzessin«, sagte er. »Obwohl es für mich wohl beinah schlimmer ausgegangen wäre als für Euch.«
    So froh sie war, ihn zu sehen, hatte sie doch nicht vor, ihren Zorn einfach zu vergessen. »Wo seid Ihr gewesen? Barmherzige Zoria, wißt Ihr, wie oft ich Euch in den letzten Tagen dringend sprechen wollte? Ihr wart uns immer ebensosehr Ratgeber wie Arzt. Wo habt Ihr gesteckt?«
    »Das ist eine lange Geschichte, Hoheit, und nichts für einen kalten, windigen Hof, aber ich werde Euch bald alles erzählen.«
    »Wir sind im Krieg, Chaven! Die Zwielichtler stehen an unserer Schwelle, und Ihr verschwindet einfach!« Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen, und wischte sie ärgerlich mit dem Ärmel weg. »Barrick ist auch weg, gegen diese Kreaturen zu Felde gezogen. Und es gibt noch schlimmeres, Dinge, die Ihr nicht wißt. Fluch über Euch, Chaven,
wo wart Ihr?«
    Er schüttelte langsam den Kopf. »Den Fluch habe ich verdient, vor allem aber durch meine Dummheit. Ich habe hart daran gearbeitet, ein schwieriges Rätsel zu lösen — mehr als eins, um genau zu sein —, und es hat länger gedauert, als ich dachte. Ja, ich weiß das mit den Zwielichtlern und auch, daß Barrick mit Wildeklyff und den anderen ausgezogen ist. Ich war zwar fern des Hofes, aber nicht des Hofklatsches, denn der dringt überallhin.«
    Sie sagte ungehalten: »Rätsel — es gibt ohnehin schon genug Rätsel! Jetzt jedenfalls bin ich auf dem Weg zu meiner Stiefmutter. Ich muß sie besuchen, ehe wir reden können.«
    »Ja, auch das weiß ich. Und ich glaube, ich sollte Euch begleiten.«
    »Sie ist kurz vor der Zeit.«
    »Ein Grund mehr, daß ich mitkomme.«
    Sie bedeutete den Wachen, die Hellebarden zu senken. »Meinetwegen kommt mit. Ich werde einen Becher heiße Gewürzmilch mit ihr trinken, dann gehen wir wieder.«
    »So schnell wird es vielleicht nicht gehen«, sagte Chaven.
    Briony hatte an diesem langen, traurigen Abend nicht die Geduld, zu erforschen, was er meinte.

    Es gab wohl keine richtige Art und Weise, sich auf das Sterben vorzubereiten, dachte Chert, aber andererseits war das jetzt schon das zweite oder dritte Mal in den letzten paar Tagen, daß er gezwungen war, genau das zu tun. »Ich will nicht«, sagte er leise. Die gepanzerten, gelbäugigen Gestalten blickten ohne jede Regung auf ihn herab, als ob er gar nichts gesagt hätte, die Speerspitzen ein Ring von mattem Metallglanz in dem grauen Licht. Doch der seltsame Fremde neben ihm sah auf.
    »Natürlich nicht«, sagte Gil. »Alles, was lebt, klammert sich ans Leben. Ich glaube, selbst meinesgleichen.«
    Chert senkte den Kopf, dachte an Opalia und den Jungen, dachte, wie wenig das alles hier bedeutete, wie lächerlich und unsinnig es war, verglichen mit dem Leben mit ihnen. Er hörte ein immer lauter werdendes Trommeln, das er einen Moment lang für seinen eigenen rasenden Herzschlag hielt. Dann erkannte er das Geräusch und sah auf, nicht hoffnungsvoll, sondern fast schon ärgerlich, daß das schreckliche Warten sich noch länger hinziehen würde.
    Der Mann, wenn es denn einer war, ritt eins der größten Pferde, die Chert je gesehen hatte: er selbst reichte dem Tier kaum bis an die Knie. Der Reiter war ebenfalls groß, aber nicht riesenhaft, und trug eine Rüstung, die ein bißchen wie poliertes Schildpatt aussah, grau und bräunlichblau. Ein Schwert baumelte an seiner Seite, und unterm Arm hielt er einen Helm in der Form eines Tierschädels — irgendein unidentifizierbares Etwas mit langen Fangzähnen.
    Aber das seltsamste war sein Gesicht. Im ersten Moment dachte Chert, der Reiter trüge eine Elfenbeinmaske, denn außer den rubinroten Augen unter der bleichen Stirn war da nichts, nur ein leichter senkrechter Wulst, wo die Nase hingehört hätte, und eine glatte weiße Fläche bis hinab zum Kinn. Erst als Chert den weißen Hals

Weitere Kostenlose Bücher