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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Mitte und brüllte Befehle, aber niemand hörte auf ihn. Das Ganze war um so traumartiger, als niemand Briony aufhielt oder auch nur ansprach, als sie an ihnen vorbeirannte. Sie schienen alle in die falsche Richtung zu streben.
    Sie kam in den Flur vor Barricks Gemach, aber er war leer, die Zimmertür zu. Ihr blieb nur ein kurzer Moment, sich darüber zu wundern, ehe etwas ihren Arm packte. Sie stieß einen halberstickten Schrei aus, aber als sie die erschrockene Gestalt neben sich erkannte, umarmte sie sie und zog sie an sich. »Oh, ich dachte, du ... Merolanna hat gesagt ...«
    Barricks rotes Haar sah aus wie ein windgezauster Heuhaufen. »Ich habe dich vorbeigehen sehen.« Er wirkte wie jemand, der gerade aus dem Schlaf gerissen wurde und noch weiterträumt: Seine Augen waren weit aufgerissen, aber seltsam leer. »Komm. Nein, vielleicht besser nicht ...«
    »Was?« Ihre Erleichterung verschwand so schnell, wie sie gekommen war. »Barrick, was, im Namen aller Götter, geht hier vor?«
    Er führte sie um die Ecke in den Hauptflur des Palastes. Der Gang war voll, und mit Hellebarden bewaffnete Wachen drängten Bedienstete und andere Burgbewohner von Kendricks Tür zurück. Plötzlich begriff sie ihr Mißverständnis.
    »Barmherzige Zoria«, flüsterte sie.
    Jetzt, im Fackelschein, sah sie, daß Barricks Gesicht nicht leer war, sondern schlaff vor Entsetzen, und daß seine Lippen zitterten. Er nahm sie an der Hand und zog sie durch die Menge, die vor ihnen zurückwich, als wären sie mit einer Seuche behaftet. Einige Frauen weinten; ihre Gesichter waren so grotesk wie Schauspielmasken.
    Die Wachen, die um den hingestreckten Leib knieten, blickten auf, als die Zwillinge hereinkamen, schienen sie aber nicht gleich zu erkennen. Dann erhob sich Ferras Vansen, der Hauptmann der königlichen Garde, Entsetzen und Mitleid im Gesicht, und zerrte einen der knienden Soldaten beiseite. Im Zimmer des Prinzregenten herrschte ein schrecklicher Geruch, wie im Schlachthaus. Sie hatten Kendrick auf den Rücken gedreht. Sein Gesicht glänzte rot im Fackelschein.
    Da war soviel Blut, daß sie sich einen Moment lang einreden konnte, es sei jemand anders, das Entsetzliche sei einem Fremden widerfahren, aber Barricks verzweifeltes Aufstöhnen zerschlug die flüchtige Hoffnung.
    Der Dolch fiel ihr aus der Hand und landete klirrend auf den Steinfliesen. Ihre Knie gaben nach, sie sank zu Boden, krabbelte dann auf ihren älteren Bruder zu wie ein blindes Tier, stieß gegen einen der Soldaten, der ein Gebet murmelte. Kendricks Gesicht zuckte. Eine blutverschmierte Hand öffnete und schloß sich.
    »Er
lebt!«
schrie Briony. »Wo ist Chaven? Hat jemand nach ihm geschickt?« Sie versuchte Kendrick anzuheben, aber er war zu glitschig und zu schwer Barrick wollte sie wegziehen, und sie schlug nach ihm. »Laß mich! Er lebt noch!«
    »Das ist unmöglich.« Barrick war ebenfalls in einer anderen Welt, seine Stimme fern und verwirrt. »Sieh ihn doch an ...«
    Kendricks Mund bewegte sich wieder, und Briony warf sich fast auf ihn, so verzweifelt wollte sie seine Stimme hören, wissen, daß er immer noch ihr Bruder war, daß er noch lebte. Sie suchte nach den Wunden, um das Blut zurückzudämmen, aber seine gesamte Vorderseite war klatschnaß, sein Hemd zerfetzt und die Haut darunter nicht minder.
    »Nicht«, rief sie ihm ins Ohr. »Bleib bei mir!« Die Augen ihres Bruders bewegten sich; er suchte sie. Sein Mund öffnete sich.
    »... Isss ...«
Eine geflüsterte Silbe, die nur Briony hören konnte.
    »Verlaß uns nicht, oh, lieber, lieber Kendrick, bitte nicht.« Sie küßte seine blutige Wange. Er wimmerte, krümmte sich dann, so langsam wie ein Blatt auf heißen Kohlen, bis er zusammengerollt auf der Seite lag. Er trat mit den Beinen, wimmerte wieder, dann war das Leben aus ihm entwichen.
    Barrick zerrte immer noch an ihr, aber auch er weinte —
alle weinen,
dachte Briony,
die ganze Welt weint.
Wie in weiter Ferne hörte sie Leute durch den Flur rufen.
    Der Prinz ist tot! Der Prinz ist ermordet worden!
    Gardehauptmann Vansen versuchte sie jetzt von Kendrick wegzuziehen. Sie drehte sich um, schlug nach ihm, packte den Mann dann an seiner dicken Tunika und versuchte ihn herabzuziehen, so wuterfüllt, daß sie gar nicht klar denken konnte.
    »Wie konnte das passieren?« schrie sie, und ihre Gedanken waren so rot und glitschig wie ihre Hände. »Wo wart Ihr?
Wo waren seine Wachen?
Ihr seid alle Verräter, Mörder!«
    Vansen hielt sie einen Moment auf

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