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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
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wohl mehr Mädchen, die mit Freuden deinen Platz hier einnehmen würden, als es Sandkörner am Strand gibt, und du hast zudem noch das große Glück, daß die Erhabene Rugan selbst auf dich aufmerksam geworden ist. Sonst wäre ein Mädchen von deiner ... sonst wärst du nie unter so vielen anderen würdigen Bewerberinnen ausgewählt worden.« Chryssa tätschelte Qinnitans Arm. »Es war deine flinke Zunge, weißt du, auch wenn du noch lernen mußt, wann du sie
nicht
gebrauchen solltest. Ich glaube, die Erhabene hofft, dich eines Tages als Obernovizin zu sehen, was natürlich eine noch viel größere Ehre wäre.« Mit einem leichten Nicken würdigte sie ihre eigenen Anstrengungen und ihr eigenes Glück. »Trotzdem, es ist eine hohe Berufung und ein einsamer Dienst, und manchmal kann es schwer sein, Familie und Freunde zu verlassen. Für mich war es das jedenfalls, als ich noch jung war.«
    Ehe Qinnitan die Gelegenheit nutzen konnte, die verehrte, geheimnisvolle Obernovizin Chryssa ein wenig nach ihrer Kindheit auszufragen, bauschten sich die Netze vor den Bienenstöcken in einem plötzlichen Luftzug, obwohl die Last der vielen hundert Bienen, die an ihnen hingen, größere Bewegungen verhinderten. Die Luftbewegung trug etwas durch den großen Tempelraum heran, ein ängstlich erregtes Flüstern. Die Obernovizin und die ihr anbefohlenen Mädchen strafften sich und wandten sich zur Tür, wo jetzt plötzlich die Hohepriesterin stand, mit erhobenen Armen, die Hände wie geöffnete Blumen.
    »Preis dem Höchsten«, hauchte Chryssa. »Er ist hier!«
    Qinnitan kniete neben der Obernovizin nieder. Leise Schrittgeräusche wurden lauter, ein Schlurren und Klacken auf dem polierten Steinboden, und Soldaten marschierten hintereinander herein, jeder mit einem mächtigen Krummschwert am Gürtel und einem langen, trompetenartigen Rohr aus glänzendem ziselierten Metall über der Schulter — die Leoparden des Autarchen, das mußten sie sein, niemand sonst durfte diese schwarz-goldene Rüstung tragen. Es war verblüffend: Sie hätte nie damit gerechnet, hier in der großen Vorhalle des Bienenstocks irgendwelche Männer zu sehen, geschweige denn gleich hundert mit Musketen bewehrte Soldaten. Diesem erstaunlichen Aufgebot folgten mehrere Dutzend Nushash-Priester in ihren feierlichen Gewändern und dann ein noch größerer Trupp Soldaten mit herkömmlicheren, aber dennoch furchteinflößenden Waffen: Langspeeren und Schwertern. Schließlich verstummten die Schrittgeräusche. Qinnitan guckte verstohlen zu Obernovizin Chryssa hinüber: Deren Gesicht glühte vor Erregung und vor etwas anderem, noch Intensiverem — einer Art Freude.
    Eine Sänfte erschien in der Tür, ein riesiges Ding aus vergoldetem Holz und schweren Vorhängen, bestickt mit dem Emblem der königliehen Familie: dem Falken mit ausgebreiteten Schwingen. Die stämmigen Träger setzten die Sänfte gleich diesseits der Tür ab, und einer von ihnen sprang hinzu, um die Vorhänge aufzuziehen. Obwohl keine der Frauen in der Tempelkammer etwas sagte, war Qinnitan, als fühlte sie, wie sie alle gleichzeitig nach Luft schnappten. Ein Gesicht tauchte aus dem Dunkel der Sänfte auf, von den Laternen erhellt.
    Qinnitan schluckte, obwohl es ihr einen Moment lang völlig unmöglich erschienen war. Der Autarch war ein Ungeheuer.
    Nein, ein Ungeheuer wohl doch nicht ganz, wie sie auf den zweiten Blick sah, aber der junge Mann in der Sänfte war gebeugt und verkrümmt wie ein Greis, und sein Kopf war viel zu groß für den spindeldürren Körper. Er blinzelte, guckte sich zerstreut um wie ein schlaftrunkener Mensch, der merkt, daß er die falsche Tür geöffnet hat, und zog sich dann wieder ins Dunkel seiner Vorhanghöhle zurück.
    Während Qinnitan noch mit offenem Mund hinstarrte, nahmen die Männer der Leopardengarde allesamt die Gewehre von den Schultern, hielten sie vor sich und stampften dann mit ohrenbetäubendem Knallen mit den Füßen auf — Bumrn! Bumm! Im ersten Moment dachte sie, die Gewehre seien alle auf einmal losgegangen, und einige Bienenstockschwestern schrien erschrocken und entsetzt auf. Als das Knallen verhallte, erschienen noch ein halbes Dutzend weitere Männer in Schwarz und Gold in der Tür, und eine Gestalt, die fast so bizarr war wie die in der Sänfte, folgte ihnen in den Tempelraum.
    Er war groß, einen halben Kopf größer als der größte der Leoparden, aber doch nicht so monströs riesig, wie er auf den ersten Blick gewirkt hatte: Es waren der lange Hals und

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