Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
würde ich die Braut finden, die ich suche.«
    Panhyssir schien nicht annähernd so ängstlich wie die Bienenstockpriesterinnen; er hatte bereits die Auswahl etlicher hundert Bräute für den Autarchen überwacht, also war das hier für ihn vielleicht einfach Routine. »Sie ist eindeutig hier, o Goldener. Das wissen wir.«
    »Ach ja? Dann werde ich sie selbst finden.« Der Autarch machte ein paar Schritte in den Raum, und seine Augen suchten die Reihen der verängstigt am Boden knienden Schwestern ab. Qinnitan wußte so wenig wie ihre Kameradinnen, was sich da abspielte, aber sie sah den Autarchen mit seinen Leoparden näher kommen. Also senkte sie den Kopf tief und versuchte, so reglos auszuharren wie die Steinfliesen.
    »Das ist sie«, sagte der Autarch irgendwo ganz in ihrer Nähe.
    »Ja, das ist die Braut, o Goldener«, sagte Panhyssir. »Den Herrn des Großen Zeltes vermag niemand zu täuschen.«
    »Gut. Bringt sie heute abend zu mir, zusammen mit ihren Eltern.«
    Erst als die rauhen Hände der Wachen sie an den Armen packten und hochzogen, begriff Qinnitan, daß das Unglaubliche niemand anderem geschah als ihr.

8

Das Versteck
    Wiese und Himmel:
Tau steigt auf, Regen fällt,
Dazwischen ist Nebel,
Dazwischen liegt alles, was ist.

Das Knochenorakel
    Es war die längste Stunde seines Lebens. Die junge Frau, die er verehrte wie keine andere, ohne jede Hoffnung, daß seine Gefühle je erwidert werden könnten, hatte ihn angespuckt und ihm die Schuld am Tod ihres Bruders gegeben, und er war sich keineswegs sicher, daß sie unrecht hatte. Blutige Kratzer von ihren Fingernägeln zogen sich über seine Wangen; sie brannten von Schweiß und Tränen — seinem Schweiß und seinen Tränen. Aber das schlimmste war, daß sein Versagen, das Versagen eines Mannes, der gelobt hatte, die königliche Familie zu schützen, auf ihm lastete wie der Deckel eines Bleisargs. König Olin war seit Monaten weg, gefangen in einem fernen Land. Jetzt war sein Sohn und Nachfolger tot, niedergemetzelt in seinem eigenen Schlafgemach, mitten in der Südmarksfeste.
    Wenn die Welt schon unterging, dachte Ferras Vansen, Hauptmann der königlichen Garde, dann hoffte er nur, daß das Ende schnell kam. Wenigstens würde es auch das Ende dieser schrecklichen Nacht sein.
    Hierarch Sisel war mit schreckgeweiteten Augen aus seinen Gastgemächern im Sommerturm angerannt gekommen und mühte sich jetzt, über Prinz Kendricks blutigen Leichnam gebeugt, die Worte des Todesritus zusammenzukriegen — er hatte schon lange keine gewöhnlichen Priesteraufgaben mehr verrichtet. Der tote Prinz war aufs Bett gehoben und aus seinem Todeskrampf gelöst worden. Er lag jetzt, die Augen geschlossen und die Arme neben dem Körper, wie in friedlichem Schlaf. Ein goldbesticktes Tuch war so über seinen zerschundenen Körper gebreitet, daß nur die nackten Schultern und das Gesicht zu sehen waren, aber im Gewebe des Tuchs erblühten bereits blutrote Blumen. Chaven, der Leibarzt, wartete, blasser und verstörter als Vansen ihn je gesehen hatte, daß er den ermordeten Prinzen untersuchen konnte, ehe der Leichnam den Mägden Kernios' übergeben wurde, damit sie ihn für die Bestattung herrichteten.
    Stumm wie Überlebende einer entsetzlichen Schlacht, waren die Zwillinge nicht von der Seite ihres toten Bruders gewichen. Ihre Nachtgewänder waren voller getrockneter Blutflecke — vor allem Briony war so blutbesudelt, daß ein jetzt erst Hinzugekommener sie leicht für die Mörderin des Prinzen hätte halten können. Sie kniete weinend am Bett, den Kopf auf Kendricks Arm.
Das muß dem Prinzen doch unbequem sein,
dachte Vansen, ehe ihm wie im Traum wieder einfiel, daß der Prinz ja jetzt jenseits allen körperlichen Unbehagens war.
    Konnetabel Avin Brone, der hünenhafte Mann mit der tiefen Stimme, der den Eddons so eng verbunden war, wie es ein Nicht-Blutsverwandter nur sein konnte, war wohl der einzige, der versuchen konnte, die Prinzessin von der Seite ihres toten Bruders wegzubekommen. »Es gibt Dinge, die getan werden müssen, Hoheit«, brummte er. »Es schickt sich nicht, daß er einfach so hier herumliegt. Kommt da weg, und laßt den Arzt und die Totenmägde ihre Arbeit verrichten.«
    »Ich verlasse ihn nicht.« Sie sah Brone nicht einmal an.
    »Bringt sie zur Vernunft«, knurrte der Konnetabel ihren bleichen Zwillingsbruder an. Barrick wirkte halb so alt, wie er war: ein verängstigtes Kind mit schlafwirrem Haar. »Helft mir, Hoheit«, bat Brone ihn jetzt sanfter. »Wir

Weitere Kostenlose Bücher