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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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das schmale Gesicht, die diesen Eindruck erzeugten, und die langen Spinnenfinger, als er jetzt die Hand hob. Auch das Gesicht unter dem hohen, kuppelförmigen Schädel wirkte eigentlich ziemlich normal, nur etwas verzerrt: langes Kinn, eine knochige, wie ein Falkenschnabel gekrümmte Nase, die gar nicht zu seiner Jugend paßte, und glattes braunes Fleisch, das sich stramm über die Knochen spannte. Er hatte ein säuberlich gestutztes Bärtchen, und seine Augen wirkten unnatürlich groß und glänzend, als er sich im Raum umsah. Ein paar Nushash-Priester traten vor, stimmten ihre Sprechgesänge an und schwenkten ihre Weihrauchbehälter, so daß sich die Luft rings um den jungen Mann mit Rauch füllte.
    »Wer ist das?« flüsterte Qinnitan im Schutz der Priesterstimmen.
    Chryssa war sichtlich schockiert, daß sie es wagte zu flüstern, obwohl das wegen der Gesänge der Priester ziemlich ungefährlich war. »Der Autarch, dummes Kind!«
    Natürlich war es viel einleuchtender, daß der Große der Herrscher war — er strahlte eindeutig eine gewisse Macht aus. »Aber wer ist dann dieses ... wer ist der Mann in der Sänfte?«
    »Der Scotarch natürlich — sein Erbe. Und jetzt still.«
    Qinnitan kam sich sehr dumm vor. Ihr Vater hatte ihr einmal erzählt, der Scotarch, der zeremonielle Thronfolger des Autarchen, sei kränklich, aber sie wäre nie auf die Idee gekommen, daß er mit einem so offensichtlichen Leiden geschlagen sein könnte. Wenn man bedachte, daß Leben und Herrschaft des Autarchen nach alter xixischer Tradition an die Gesundheit und das Wohlbefinden des Scotarchen gebunden waren, war es schon seltsam, daß der Autarch sich ausgerechnet ein so schwächliches Wesen ausgesucht hatte.
    Aber das ging sie nichts an, sagte sie sich. Diese Leute standen so weit über ihr — alles, was diese Hochmächtigen taten, stand so unendlich weit über ihr — wie die Sterne am Himmel.
    »Wo ist die Herrin dieses Tempels?« Die Stimme des Autarchen war hoch, aber kräftig: Sie hallte durch den riesigen Raum wie eine Silberglocke.
    Die Erhabene Rugan trat mit gesenktem Kopf vor. Ihr sonst so energischer Gang war jetzt kaum mehr als das Schleichen eines verängstigten Tiers. Das zeigte Qinnitan — deutlicher als die Soldaten und Priester und alles andere —, womit sie es zu tun hatten: mit der Präsenz schierer, unvergleichlicher, beängstigender Macht. Noch nie hatte Qinnitan Rugan vor irgend jemandem das Haupt beugen sehen. »Euer Glanz strahlt auf uns alle ab, o Herr des Großen Zeltes«, sagte Rugan mit leicht zitternder Stimme. »Der Heilige Bienenstock heißt Euch willkommen, und die Bienen sind beglückt von Eurer Gegenwart. Mutter Mudry wird gleich kommen, um Euch jedweden weisen Rat, den die Heiligen Bienen des Nushash zu geben haben, zu übermitteln. Sie bittet um Eure Nachsicht, o Goldener. Sie ist zu alt, um unbeschadet hier im zugigen äußeren Tempel zu warten.«
    Was sich jetzt auf dem rabenartigen Antlitz des Autarchen zeigte, war schon beinah ein Grinsen. »Sie tut mir zuviel der Ehre, die alte Mudry. Ich bin nicht hier, um das Orakel zu befragen. Ich will gar nichts von den Bienen.«
    Trotz der einschüchternden Gegenwart einer Hundertschaft bewaffneter Soldaten entfuhr etlichen Bienenstockschwestern ein Überraschungslaut — der in einigen Fällen sogar verdächtig entrüstet klang. In den Tempel kommen und nicht die Heiligen Bienen befragen wollen?
    »Ich ... ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, o Goldener.« Die Erhabene Rugan trat, sichtlich verwirrt, einen Schritt zurück, fiel dann auf ein Knie. »Der Bote des Hohepriesters sagte, Ihr wünschtet in den Tempel zu kommen, weil Ihr etwas sucht ...«
    Jetzt lachte der Autarch doch tatsächlich. In seinem Lachen schwang etwas Sonderbares: Die Härchen auf Qinnitans Armen sträubten sich. Der Sänftenvorhang des Scotarchen wackelte, als ob der kranke junge Mann herauslinste. »Ja, das hat er gesagt«, erklärte der Autarch. »Und das stimmt auch. Komm her, Panhyssir, wo steckst du?«
    Eine dunkel gewandete, massige Gestalt mit einem langen, dünnen Bart, der aussah wie ein grauer Wasserfall, wälzte sich hinter den Leopardengarden hervor — Panhyssir, der Hohepriester Nushashs, erriet Qinnitan, und damit ebenfalls einer der mächtigsten Männer auf dem ganzen Kontinent Xand. Er wirkte so fett und so unberührt von allen trivialen menschlichen Angelegenheiten wie eine der Drohnen in den heiligen Bienenstöcken. »Ja, o Goldener?«
    »Du hast gesagt, hier

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