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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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dunkle Blume, glätteten die Rüschen an ihrem Kleid, schnitten einen losen Faden vom Saum und zogen ihr dann die Schuhe an, indem eine von ihnen sie stützte, damit sie den Fuß heben konnte, und die andere den schwarzen Schlüpfschuh darüberstreifte. Einen Moment lang erfüllte Liebe zu diesen beiden Mädchen ihr Herz. Auch sie waren tapfer, befand sie. Männer führten ihre Kriege weit weg und bewiesen ihre Tapferkeit vor Heeren anderer Männer. Die Kriege der Frauen waren subtilerer Art und ihre Zeugen meist andere Frauen. Ihre Jungfern und alle anderen Frauen in der Burg schlugen eine Schlacht gegen das Chaos, kämpften darum, einer Welt, die allen Sinn verloren zu haben schien, etwas Sinn zu verleihen.
    Was die Welt ihr aufgezwungen hatte, gefiel ihr nicht, aber heute, so befand Briony, war sie dennoch stolz darauf, das zu sein, was sie war.
    Als sie mit ihren Schuhen fertig waren, legten ihr die Jungfern einen schweren schwarzen Samtmantel um, den ihr Vater ihr geschenkt, den sie aber noch nie getragen hatte. Sie setzte sich auf einen hohen Hocker oder hockte sich vielmehr nur auf die Kante, halb stehend, damit Rose ihren Schmuck brachte und Moina und eins der jüngeren Mädchen sich an ihr Haar machen konnten.
    »Spar dir die Mühe«, erklärte sie Moina, wenn auch sanft. Ihre Jungfer hielt inne, das Brenneisen bereits in der Hand. »Ich werde eine Haube tragen — die mit der Silberstickerei.«
    So feierlich wie ein Tempelpriester einen heiligen Schrein stellte Rose den Schmuckkasten auf ein Kissen und klappte ihn auf. Sie zog den imposantesten Halsschmuck heraus, eine schwere Goldkette mit einem Rubinanhänger, ein Geschenk König Olins an Brionys Mutter, die sie kaum gekannt hatte.
    »Nicht die«, sagte Briony. »Nicht heute. Das da — den Hirsch und sonst nichts.«
    Rose hob das schmale Silberkettchen hoch, und in ihrem Gesicht stand Verwirrung. Der Anhänger in Form eines springenden Hirschen war ein kleines, unbedeutendes Stück und schien mit der schweren, majestätischen Pracht ihrer Kleidung nicht mithalten zu können.
    »Das ist von Kendrick. Ein Geburtstagsgeschenk.«
    Rose schossen die Tränen in die Augen, als sie ihrer Herrin das Kettchen umlegte. Briony wollte dem Mädchen die Tränen wegwischen, aber die Ärmel ihres Kleids waren zu steif, der Mantel zu schwer. »Verflucht, fang bloß nicht damit an. Dann geht es auch bei mir los.«
    »Weint, wenn Euch danach ist, Herrin«, sagte Moina schniefend. »Mit Eurem Gesicht haben wir noch nicht begonnen.«
    Wider Willen mußte Briony ein wenig lachen. Die elenden Ärmel ließen nicht einmal zu, daß sie sich selbst die Augen wischte, also konnte sie nur hilflos warten, bis Rose mit einem Taschentuch kam und sie trockentupfte.
    Das Haar zu einem Knoten zurückgeschlungen, saß sie so geduldig wie möglich da, während die beiden Jungfern ihr irgendwelches Zeug auf Wangen und Augenlider tupften. Sie haßte Schminke, aber heute war kein gewöhnlicher Tag. Das Volk — ihr Volk — hatte sie bereits weinen sehen. Heute mußte es sie stark sehen, trockenen Auges, mit einer Maske gefaßter Ruhe. Und für Rose und Moina war es eine Ablenkung, ausnahmsweise einmal freie Hand zu haben: Trotz ihrer immer noch feuchten Augen lachten sie jetzt, während sie ihr Rouge auf die Wangen pinselten.
    Als sie fertig waren, senkten sie die Giebelhaube auf ihren Kopf und steckten sie fest, drapierten dann den schwarzen Schleier um ihre Schultern und ihren Rücken. Briony fühlte sich massiv und starr. »Die Wachen werden mich tragen müssen — ich schwöre euch, ich kann mich keinen Zoll bewegen. Bringt mir einen Spiegel.«
    Moina schneuzte sich die Nase, während Rose eilig den Spiegel holen ging. Die anderen Jungfern umstanden sie respektvoll im Halbkreis, flüsterten beeindruckt. Briony musterte ihr Spiegelbild: von Kopf bis Fuß in Schwarz, mit einem Hauch von Silberglanz auf Stirn und Brust.
    »Ich sehe aus wie Siveda, die Mondjungfrau. Wie die Göttin der Nacht.«
    »Ihr seht prächtig aus, Euer Hoheit«, sagte Rose, jetzt plötzlich ganz förmlich.
    »Ich sehe aus wie ein Schiff unter vollen Segeln. So gewaltig wie die Welt.« Briony seufzte, und wieder zitterte ihr Atem. »Oh, Götter, kommt und helft mir auf. Ich muß meinen Bruder beisetzen.«

    Ein Junge hing hoch an der Außenwand des Kapellenbaus, doch selbst in diesen Zeiten der Furcht vor unbekannten Feinden schien ihn niemand in der Südmarksfeste zu bemerken. Im Moment hockte er gerade in der unteren

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