Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)
bedeutet es.« Sie lächelte. »Es bedeutet so viel Geld, dass man keine Zeit hat, es vernünftig und egoistisch auszugeben. Was nutzt denn ein Chalet in Sankt Moritz, wenn man keine Zeit hat, dorthin zu reisen?«
»Wie viele Anwälte arbeiten bei Ihnen?«
»Insgesamt fünfundsechzig an drei Standorten.«
»Hatte Ihr Mann einen Narren an dem Mädchen gefressen, wie man so schön sagt?«
»Ja. Eindeutig. Wissen Sie, wir haben keine Kinder. Kinder wären bei uns durch Nichtbeachtung eingegangen. Gott sei Dank hatten wir keine, muss ich sagen. Irgendwie hat er sie zu seiner Tochter gemacht.«
»Zu seiner Tochter?«, fragte Svenja verblüfft.
»Ja, zu seiner Tochter. Ich verstehe jetzt, worauf Sie anspielen wollen, meine Liebe. Aber genau das ist nicht passiert.« Sie sah Svenja mit festem Blick an.
»Das heißt: Er hat nicht mit ihr geschlafen?«
»Nein, hat er nicht.« Jetzt begann die Frau still zu weinen. »Haben Sie ein Tuch für mich?«, fragte sie mit gequältem Gesicht.
Svenja reichte ihr eine Packung Papiertaschentücher.
»Er hat mir viel von ihr erzählt. Sie faszinierte ihn. Anfangs hat er mal gesagt, man müsse ihr beibringen, sich ab und an zu waschen und ein Deo zu benutzen. Sie käme aus der tiefsten Provinz, sei total verkommen. Aber sie lerne zu siegen. Das hat er gesagt. Mein Mann war aufrichtig, und er hat mich geliebt. Lieber Gott, ich kann noch immer nicht in das Schlafzimmer da oben gehen.«
»Das dürfen Sie auch nicht, Anna. Wenn Sie möchten, nehme ich Sie gleich mit ins Hotel.«
»Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt schlafen will. Mein Leben ist heute komplett zerstört worden.«
»Wie hat sie denn in Hannover gelebt?« Svenja brauchte noch mehr Informationen.
»Die Kanzlei hat ihr ein kleines Appartement gemietet, sie hatte ja nichts. Wir haben ihr sogar einen Kleinkredit eingeräumt, weil sie absolut keine Klamotten hatte, einfach nichts. Aber sie hat ordentlich gearbeitet, das muss ich auch sagen.«
»Sie fuhr mit einem Jaguar herum, hat man mir erzählt.«
»Das stimmt. Wir haben ihr einen Führerschein finanziert, und sie durfte manchmal den Jaguar fahren. Und die ganze Kanzlei war stinksauer und neidisch auf sie. Es gab Ärger.«
»Stimmt es, dass sie Ihren Mann zu Terminen fuhr?«
»Das stimmt auch, ich war sogar zwei- oder dreimal dabei. Man musste auf sie aufpassen. Sie brachte es fertig, völlig grundlos eine Bedienung so zur Schnecke zu machen, dass die zu heulen anfing. Mein Mann sagte dann: Das war das letzte Mal, sonst gibt es Krach. Mein Gott, er hat sich richtig an dem Mädchen abgearbeitet.«
»Angeblich ist sie mal in ihrem Heimatort aufgetaucht und hat einem Freund eine Tasche mit viel Bargeld gezeigt. Wie kam sie daran?«
»Wir haben immer eine laufende Kasse in der Kanzlei. Die wird dazu gebraucht, wenn jemand ganz schnell irgendwohin muss mit dem Wagen oder dem Flieger. Es sind immer zwei- oder dreitausend Euro drin. Die hat sie schlicht mitgehen lassen, hat sie aber wiedergebracht. Das war so ein Punkt, an dem mein Mann gesagt hat: Nie wieder, oder du fliegst. Und manchmal war er nahe dran, aufzugeben und sich einfach von ihr zu trennen.«
»Und was hat dazu geführt, dass sie die Kanzlei und Hannover verließ?«
»Das war ein sehr spezieller Kunde, ein Holländer. Bert Neuwein hieß er, stammte aus Emden. Der wollte einen Vertrag aufgesetzt haben. Einen komplizierten, hoch dotierten Vertrag mit einer chinesischen Familie in Amsterdam. Das Merkwürdige war, dass in dem Vertrag immer nur von Waren geredet wurde. Mein Mann sagte, er hätte kein gutes Gefühl dabei, wir sollten es lieber lassen. Also haben wir es gelassen und auf viel Geld verzichtet. Aber die Kleine hat Neuwein gesehen und war sofort Feuer und Flamme. Ich kann mich gut erinnern. Sie sagte begeistert: Der riecht nach Abenteuer! Und sie war nicht zu bremsen. Der Mann ging bei uns aus dem Haus und nahm sie mit in sein Hotel. Damit endete ihre Karriere bei uns in der Kanzlei.«
»Sagten Sie Bert Neuwein?«, fragte Svenja mit ganz schmalen Augen.
»Neuwein aus Emden. Manchmal merkt man sich Namen. Den hier habe ich mir gemerkt, weil der Mann nicht koscher war. Das war ein Gefühl, ich gab meinem Mann recht.«
»Darf ich mal eben telefonieren?«, fragte Svenja
»Aber selbstverständlich.«
Svenja rief Sowinski an, erreichte aber Goldhändchen. »Ich brauche einen Abgleich. Ist nicht festgestellt worden, dass Truud Jongen Papiere auf den Namen Bert Neuwein aus Emden
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