Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)
und verfügt über operatives Geschick, und irgendwann wird ihr in den Sinn kommen, dass sie erheblich besser ist als jener Mann, der ihr Aufträge zum Töten erteilte, dieser – ich habe den Namen vergessen.«
»Jongen Truud«, sagte Krause.
»Richtig, danke«, sagte der Giftkopf. »Menschen betrachtet sie aus einer Instrumentalisierungsmöglichkeit heraus, sie fragt immer: Wie kann ich den am wirkungsvollsten für mich einsetzen? Es ist wichtig zu wissen, dass sie fähig ist, einen Menschen zu töten, nur weil er für sie nicht mehr verwendbar ist. Menschenverachtung und eine maßlose Selbstüberschätzung sind von außen betrachtet ihre Leitthemen. Nun zu dem sexuellen Aspekt. Ich denke, dass sie ihre eigene Erotik als die Möglichkeit betrachtet, sich selbst zu erleben. Der Partner spielt dabei also keine wichtige Rolle, er ist nur das Instrument. Im Schizoiden gelingt dieser Frau eine perfekte Abspaltung. Mit links registriert sie reale Sexualität, mit rechts eine tiefe, vernichtende Verachtung des Partners. Das kann bis hin zum Hass gehen. Und das funktioniert so gut, weil sie eine panische Angst hat, mit diesem Partner zu verschmelzen, ihre Erfüllung zu finden, möglicherweise für Minuten abhängig von diesem Menschen zu sein.«
Er hob den Kopf, sah sie der Reihe nach aufmerksam an und lächelte leicht. »Sie wollen natürlich wissen, wie Sie dieser Frau begegnen können. Nun, eigentlich überhaupt nicht, eigentlich sollten Sie eine Begegnung mit ihr unter allen Umständen vermeiden. Sie ist das viel zitierte Spinnenweibchen, das den Partner nach der Befruchtung sofort tötet. Ich würde sagen, Sie sollten auf der Hut sein, sie wird immer versuchen, Sie für ihre Zwecke zu missbrauchen. Und noch etwas, Leute: Es kann sein, dass sie auf euch schießt, wenn ihr sie in der Menge noch nicht erkannt habt. Sie ist ein gnadenloser Gegner, und sie wird keinen Gedanken an euch verschwenden. Und sie hat keinerlei Skrupel, nicht die geringsten.«
Dann sah er Krause an und fragte: »Kann mir jemand ein Taxi rufen? Ich könnte vielleicht gerade noch passend zur Pause in der Oper sein.«
»Da unten steht schon ein Wagen für Sie«, sagte Krause. »Wir danken Ihnen von Herzen. Und Grüße an die Erwählte.«
Der Giftkopf nickte mit einem freundlichen Blick in die Runde und verließ den Raum.
Krause sagte in das Schweigen hinein: »Ich habe mich entschieden, einen schrecklich schmalen Weg zu gehen. Er ist mit hohen Risiken verbunden. Wir stellen uns vor: Da ist auf Befehl von Kiri ein Lkw in Deutschland unterwegs, der eine Ladung Sprengstoff an Bord hat. Gleichzeitig transportiert das Fahrzeug Drogen, um welche genau es sich handelt, wissen wir nicht. Er hat die Grenze nach Deutschland bei Passau überschritten. Wir gehen davon aus, dass die bisherigen Toten aus dem Drogenmilieu stammen. Im Klartext heißt das: Wohin auch immer dieser Lkw fährt, am Zielort wird die Frau den Fahrer töten und den leeren Laster einfach stehen lassen. Goldhändchen, danke für Ihre Überlegungen, die waren großartig. Jetzt geht schlafen, Leute, und sammelt Kraft.« Er lächelte wie ein gütiger Pfarrer, der seine Herde zur Eile antreibt.
EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Goldhändchen machte den Anfang. Er stellte sich vor seine Leute und erklärte ohne Umschweife, was er von ihnen verlangte. »Lasst alles andere stehen und liegen«, sagte er. »Wir suchen einen Lkw mit Drogen und Sprengstoff. Wir kontaktieren alle uns bekannten Drogenspezialisten bei Polizei und Zoll. Wir fragen an, welche Stoffe in welchem Umfang vorhanden sind, ob es Abweichungen gibt, ob irgendetwas besonders auffällig ist, ob neue Stoffe angeboten werden. Wenn ihr Meldungen hereinbekommt, dann klinkt euch bei diesen Drogenleuten unverzüglich ein und fragt nach Einzelheiten. Wenn das erfolgreich ist, gebt es weiter an mich. Wir kennen die Route des Lkw nicht, es kann aber sein, dass er sich von Süden nach Norden bewegt. Wir nehmen an, dass der Sprengstoff die letzte Station der Reise darstellt, aber eindeutig ist auch das nicht. Und noch etwas: Wir haben nicht die geringste Vorstellung davon, wo der Lkw jetzt ist. Wir haben keine Nationalität des Fahrzeugs, wir haben keine Kennzeichen.«
»Das stimmt ja richtig hoffnungsfroh«, kicherte eine junge Frau.
»Da stimme ich zu«, sagte Goldhändchen.
Er hatte sie alle in einer persönlichen E-Mail gebeten, schon um sechs Uhr morgens anzutreten, und er hatte keine Absage kassiert. Die meisten sahen verschlafen aus,
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