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Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)

Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)

Titel: Die Grenzgängerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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Lehrstuhl. Giftkopf wurde er genannt, weil er immer bereit war, das Schlechteste von den Menschen zu denken. Mit Krause verband ihn die Überzeugung, dass dieser Staat es wert war, sich um ihn zu kümmern, wenn er in Gefahr geriet.
    »Ruf sie zusammen!«, befahl er Esser. »Wir sehen uns um einundzwanzig Uhr in Konferenzraum drei. Keine Ausnahme.«
    »Du hast Giftkopf gebeten?«, fragte Esser ahnungsvoll.
    »Es geht nicht ohne ihn«, sagte Krause. »Wir brauchen eine Entscheidung. Soweit ich es verstanden habe, hat Goldhändchen eine interessante Vermutung. Er sagt, dass wir Madeleine Wagner nur verstehen können, wenn wir sie in engem Zusammenhang mit Jongen Truud betrachten, also im Zusammenhang mit Drogen und Drogenmilieu. Ist das so richtig?«
    »Das stimmt«, sagte Esser. »Die Frage ist nur, ob wir das riskieren können.«
    »Fragen bleiben immer, Risiken auch«, entschied Krause. »Ich brauche die Fakten, die wir über diese Frau haben. Nicht mehr als eine Seite. Wer macht das?«
    »Ich«, antwortete Esser seufzend. »Ich habe sowieso nichts zu tun.«
    Krause ließ sich nach Hause fahren und bat den Fahrer, sein Gepäck aus der Klinik ins Haus zu tragen. Er war fröhlich und guter Dinge.
    Wally empfing ihn an der Tür. »Vermutlich hast du in der Klinik eine Erklärung unterschreiben müssen, dass du auf eigene Verantwortung gehst.«
    »Nein, habe ich nicht.«
    »Ist das nicht trotzdem furchtbar riskant?«
    »Nein, ist es nicht.«
    »Wie soll das jetzt weitergehen?«
    »Normal. Ich will nur schnell baden. Danach muss ich noch mal zu einer Konferenz.«
    »Und das Badezimmer wird wieder schwimmen.«
    »Das mag sein.« Er marschierte die Treppe zum Badezimmer hinauf und sang: »Schenkt man sich Rosen in Tirol«. Er sang eindeutig falsch, lag immer einen halben oder Viertelton daneben. Aber es bedeutete eine unendliche Erleichterung für ihn, einen Entschluss gefasst zu haben. Das allein zählte.
    Wally stand unten am Treppenabsatz und war glücklich, dass er wieder zu Hause war. Aber das würde sie auf keinen Fall zugeben.
    Sie waren alle pünktlich, wussten aber nicht genau, was sie erwartete. Für Thomas Dehner war es eine Premiere. Am Kopfende des Tisches saß ein kleiner, dicklicher Mann von Mitte fünfzig mit einem silbergrauen Bart und hielt den Blick konzentriert auf ein Blatt Papier geheftet. Offensichtlich las er langsam, denn es dauerte sehr lange.
    Krause saß da wie ein Buddha, schweigsam und in sich gekehrt.
    Also sagte niemand etwas, und Dehner empfand die Szenerie als zunehmend lächerlich.
    Dann hob der Mann den Kopf und sagte mit einer sehr leisen, dunklen Stimme: »Guten Abend. Ich will Sie nicht langweilen und deshalb sofort zu der Frage kommen, ob diese Frau gefährlich und böse ist. Meine Antwort: Das kann durchaus sein. Zuweilen treffen wir im wahren Leben auf solche Menschen, dann können wir das Böse in einer Person mühelos in seinem ganzen Umfang erkennen. Und es erfüllt uns mit großem Schrecken, wenn keinerlei andere, also positive Seiten zu erkennen sind. Aus den Fakten auf diesem Blatt Papier kann ich mühelos schlussfolgern, dass diese Frau gelernt hat, ihre unmittelbare Umgebung, also ihre Mitmenschen, zu instrumentalisieren, zu benutzen, zu manipulieren. Dann kommen Begriffe auf wie rücksichtslos, gnadenlos, brutal. Sie hat bereits getötet, und sie wird es wieder tun, also sollten wir kein Mitleid mit ihr haben, wenn wir sie irgendwo identifizieren.
    Wenn sie überhaupt die Chance einer Therapie bekäme, dann müsste sie zuerst verstehen lernen, dass das Infragegestelltsein überhaupt kein Makel ist, dass man im Gegenteil viel daraus lernen kann. Ich gehe in diesem akuten Fall aber nicht davon aus, dass sie einer Therapie zustimmen würde, denn sie würde gar keinen Bedarf für sich erkennen.
    Sie hat eine Omnipotenzvorstellung von sich. Sie kann alles, sie ist der absolute Chef, was soll man da korrigieren? Sie ist in ihrer eigenen Wahrnehmung geradezu übermächtig.
    Es handelt sich um eine Frau mit einer narzisstischen Störung, gepaart mit einer schizoiden Persönlichkeitsstruktur.
    Mit absoluter Sicherheit kann ich aufgrund Ihrer Schilderungen sagen, dass die Mutter als schützende und liebende Instanz für dieses Mädchen niemals präsent war. Sie musste schon als Kind lernen, allein zurechtzukommen.
    Auf der anderen Seite muss man begreifen, dass diese Frau enorm zielstrebig ist und eine geradezu exzessive Energie mobilisieren kann. Sie besitzt Kreativität, Dynamik

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