Die grosse Fahrt der Sable Keech
Fallschirmgeschirr, wies aber eine Haltestange oder einen Griff an der Stelle auf, wo sonst der Fallschirm montiert gewesen wäre. Sie machte sich daran, es anzulegen, ging dabei aber langsam zu Werk, um sich selbst Zeit zu verschaffen.
»Wohin fliegen wir?«
»Zur Insel der Toten.«
»Warum dorthin?«, fragte Erlin, die nicht verraten wollte, dass sie keinen Schimmer hatte, was oder wo das war.
»Weil es jener Ort ist, wo die Toten leben und wohin dich zu bringen man uns bezahlt hat.«
»Ihr entführt mich?«
Erneut dieses Achselzucken, diesmal mit gesenktem Kopf. »Wir … siedeln dich um.« Der Kopf stieg wieder. »Ich habe dir das Leben gerettet. Ich habe deinen Tod geschlagen.«
»Dafür bin ich dankbar, aber jetzt bringt ihr mich zu einer Stelle, zu der ich nicht möchte. Das ist eine Entführung.«
»Es gibt Schlimmeres.«
Eines der anderen Segel räusperte sich und hustete ein Stück Wellhornschale hervor. »Wir könnten sie jederzeit dorthin zurückbringen, wo wir sie gefunden haben, falls es zu schwierig wird«, schlug es vor.
»Oh, ich komme schon mit!«, warf Erlin rasch ein. »Ich erkenne schon, dass ich keine große Wahl habe.« Sie legte letzte Hand ans Geschirr an.
»Sollten wir sie füttern?«, fragte das dritte Segel und stupste die Überreste seiner Speise mit einer Klauenzehe an.
»Benötigst du Nahrung, Erlin Taser Drei Indomial?«
Erlin musterte die durchgekauten Reste. »Derzeit nicht.«
»Dann müssen wir aufbrechen.«
Das Golemsegel warf sich in die Luft und pustete mit dem abwärts gerichteten Windstoß der Flügel Schalensplitter vom Gipfel des Atolls. Erlin drehte sich um, und das Golemsegel packte den Griff an ihrem Rücken und hob sie in die Luft.
»Wie weit ist es bis zur Insel der Toten?«, schrie sie, als auch die beiden übrigen Segel mit viel Lärm und Geflatter aufstiegen.
»Sie liegt im Kabelmeer hinter den Norbischen Atollen.« Erlin fluchte, und ihr war klar, dass sie irgendwann alles essen musste, was sie ihr anboten. Diese Gegend lag, wie sie wusste, Tausende Kilometer entfernt.
Ambel suchte die Insel mit dem Fernglas ab, inspizierte die Verwüstungen, hielt Ausschau nach irgendeiner Spur Erlins – oder vielleicht Körperteilen. Nach dem Chaos dort zu urteilen, war sie vermutlich tot, aber er spürte das bislang nicht. Im Grunde konnten sich Alte Kapitäne nie daran gewöhnen, anderer Leute Tod zu akzeptieren – da die meisten ihrer Gefährten so langlebig und unverwüstlich waren.
»Lasst das Boot hinunter«, wies er Peck an, der sich wie immer direkt an der Schulter des Kapitäns herumtrieb.
Er blickte sich zum Rest der Besatzung um, aber keiner wollte seinen Blick erwidern. Sprout und Pillow banden das Ruderboot von der Schiffsflanke los und gaben zunehmend Taulänge durch die Flaschenzüge, um es aufs Wasser abzusenken. Ambel ging zur Außenwand seiner Kabine hinüber und nahm dort seine Donnerbüchse und die Beutel mit Pulver und Steinen vom Haken. Er lud die Waffe, riss das Ende einer Papierpatrone ab und stopfte sie in den Lauf, gefolgt von Füllwatte und einigen Steinen, dann wiederum Watte. Er schüttete Pulver auf und spannte den Hahn.
»Sehen wir mal nach, was wir hier haben, ehe wir ganz morbide werden«, schlug er vor.
Er hängte sich die Flinte am Gurt über den Rücken und stieg die Strickleiter hinab. Während Peck ihnen über die Reling nachblickte, folgten Anne und die Jüngeren – Sprout, Süd und Pillow – Ambel ins Boot. Sie waren auch bewaffnet: Anne mit einem starken Laserkarabiner, den sie auf der Skinner-Insel gefunden hatte – und den die batianischen Söldner nicht mehr brauchten, die dort mit Rebecca Frisk aufgetaucht waren und es mit dem Rachedurst von Hoopern zu tun bekommen hatten; Sprout führte eine Machete mit und die beiden Übrigen schwere Knüppel. Sobald sie alle im Boot saßen, packte Ambel die verstärkten Ruder und legte sich in die Riemen.
»Was denkst du, ist hier passiert?«, fragte Anne schließlich.
Ambel, dessen Blick auf der Treader ruhte, antwortete: »Da kommt einem allerlei in den Sinn, aber nach der Verwüstung zu urteilen, war irgendetwas aus der Tiefe des Meeres hier zu Besuch. Wir werden es bald erfahren.«
Wenig später erreichten sie das flache Gewässer in Ufernähe, und ein Blick über den Bootsrand zeigte Ambel, dass man in der Umgebung keine Wellhornschnecken fand. Es wurde ihm schwer in der Brust; die Anzeichen versprachen nichts Gutes. Am Strand zog er noch zweimal die Ruder durch,
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