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Die große Flut

Die große Flut

Titel: Die große Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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finster, daß Sandy nicht einmal die Umrisse der Zeltklappe erkennen konnte. Aber irgendwo mußte sie sein. Sandy rollte sich an den Wänden entlang, stieß mit den Füßen dagegen, gab schließlich erschöpft und erfolglos auf. Sammelte Kraft. Versuchte es von neuem. Wieder und wieder. Endlich fanden seine Zehen Widerstand. Er schob die Klappe einen Spaltbreit zur Seite. Draußen war Nacht. Sterne. Die Silhouette einer vereinzelten Palme. Sandy hatte keine Ahnung, wo er sich befand. War das noch die Oase?
    Völlig ausgepumpt schlief er ein, den Kopf im Freien.
    Sengende Sonne gegen die Lider. Er erwachte, rollte ins Zelt zurück, lehnte sich gegen die Felle. Sein Magen verkrampfte sich vor Hunger.
    »Zwilling!«
    Eine leise Mädchenstimme. Sandys Herz pochte. Yalith.
    Der Geruch folgte. Nein, nicht Yalith. Tiglah.
    »Zwilling?«
    »Hallo, Tiglah.« So abweisend wie möglich. Ihm fiel ein, was Dennys über die Leute in Tiglahs Zelt gesagt hatten. Sie also waren die Terroristen. Was bewies, daß der Terrorismus nicht erst ein Phänomen des zwanzigsten Jahrhunderts war. Es hatte ihn also schon immer gegeben. Er ließ sich von einer Sintflut nicht auslöschen. Was bewies, daß die Sintflut sinnlos war – sein würde.
    »Erkennst du mich an der Stimme?« Sie kicherte.
    Nein, am Geruch, wollte er sagen, ließ es jedoch bleiben.
    Sie schlüpfte durch die Zeltklappe herein, pflockte sie hoch, um Licht einzulassen. Tiglah hatte sich unübliche Mühe mit ihrem Haar gegeben, es glänzte. Ihr Lendentuch war aus weißem Ziegenfell.
    »Den?« fragte sie unsicher.
    »Sandy.«
    »Oh, du bist es. Wie schön. Dem Den scheine ich nicht zu gefallen. Du aber magst mich, ja?«
    »Wie soll ich jemanden mögen, der mich gefangen nimmt, mich fesselt und hungern läßt?«
    »Aber das hab doch nicht ich getan!«
    »Zumindest wußtest du davon.«
    »Das war nicht ich. Das waren mein Vater und mein Bruder. Nie würde ich dir auch nur das geringste Leid zufügen.«
    »Es stört dich aber gar nicht, daß dein Vater und dein Bruder mir Leid zugefügt haben.«
    »Ach, mein lieber, lieber Sand! Wie hätte ich sie daran hindern sollen? Ich bin gekommen, um dir Trost und Essen zu bringen.«
    Er schnüffelte. In den Geruch des Zeltes und Tiglahs parfümierten, aber ungewaschenen Körper mischte sich jener nach gewürztem Fleisch. Aber durfte er das essen? Immerhin hatte man ihn bereits mit einem Giftpfeil attackiert.
    Tiglah sagte: »Ich habe selbst gekocht. Du kannst also sicher sein, daß alles in Ordnung ist und gut schmeckt.«
    »Wie soll ich denn mit gefesselten Händen essen?«
    Sie tat so, als müsse sie überlegen. »Ich werde dich füttern«, sagte sie dann. Die Grübchen auf ihren Wangen zeigten sich und verschwanden mit ihrem neckischen Lächeln.
    »Nein. Ich bin ja kein Baby. Binde mich los.« Er verzichtete darauf, sie zu bitten. Wie konnte ihm diese Frau je gefallen haben?
    Wieder überlegte sie. »Also gut. Aber nur die Hände, und ich bleibe bei dir, während du ißt.«
    »Die Füße auch«, befahl Sandy. »Ich muß mal.«
    »Was?«
    »Ich muß… urinieren.«
    »Tu‘s doch im Zelt.«
    »Nein. Meinetwegen komm mit, aber laß mich nicht länger warten.«
    Sie kniete sich zu ihm hin, löste die Fesseln. Sandy stand auf, sehr weich in den Knien. Das Zelt war so klein, daß er mit dem Kopf an die Decke stieß.
    Tiglah massierte seine Handgelenke. Die Riemen hatten tief in die Haut geschnitten.
    »Gehen wir.«
    »Wohin?«
    »Ich sagte dir doch, daß ich… mich erleichtern muß.«
    Sie zog ihn aus dem Zelt und führte ihn zu einer grasbestandenen Kuhle. Hier gab es keine Senkgrube oder irgendeinen Platz, auf den man sich zurückziehen konnte. »Mach schon!«
    »Dreh dich um.«
    »Dann läufst du mir davon.«
    Er schaute sich um. Dieser Teil der Oase mit dem einsamen Zelt war ihm unbekannt. Hier gab es nur ein paar Palmen, und unter der sengenden Sonne weideten schwarzweiß gesprenkelte Ziegen auf einer dürren, steinigen Weide. Sandy hätte nicht gewußt, in welche Richtung er fliehen müßte. »Dreh dich um. Ich laufe nicht davon.«
    »Dein Wort darauf?«
    »Ehrenwort.« Es war wahrscheinlich um keinen Deut mehr wert als ein Ehrenwort von Tiglah. »Fertig«, sagte er.
    Sie wirbelte herum, griff nach seiner Hand. »Jetzt komm und iß endlich, was ich dir gebracht habe.«
    Sie schlüpften ins Zelt, und Tiglah reichte ihm eine Holzschüssel mit Ziegenfleisch und Gemüse. Sandy hatte längst gelernt, mit den Fingern zu essen, zwar nicht so

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