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Die große Flut

Die große Flut

Titel: Die große Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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Hörte nicht die Geräusche hinter sich.
    Plötzlich wurde ihm etwas über den Kopf gestülpt, nahm ihm die Sicht. Seine Beine sackten unter dem Leib weg. Starke Hände faßten unsanft zu. Zwei Leute trugen ihn. Preßten das stinkende Fell gegen seinen Mund, erstickten jeden Schrei. Sandy wollte sich aus der Umklammerung lösen. Eine Faust landete in seiner Magengrube; der Schmerz raubte ihm den Atem. Etwas Scharfes stach ihm in den Arm.

Der Gesang der Sterne
    Y alith schlich sich aus dem Zelt, flüchtete in die Wüste, zum Felsen, auf dem der große Löwe lag. Als sie sich ihm näherte, sprang er von seinem Lager, und sie rannte zu ihm hin, schlang die Arme um seinen zotteligen Hals und stammelte schluchzend: »Großvater Lamech stirbt!« Ihre Tränen rannen in sein Fell.
    Als sie sich leergeweint hatte, leckte ihr die Raubkatze zärtlich die letzten Tränen von den Wangen, nahm Yalith sanft zwischen die mächtigen Pranken, trauerte stumm mit ihr.
    Die Sterne führten ihren gemächlichen Tanz zu Ende, verblaßten. Weder der Löwe noch das Mädchen regten sich. Yalith lehnte sich gegen die Brust des Löwen, hörte sein Herz im Rhythmus mit den Sternen pochen. Fand Frieden.
    Vor Großvater Lamechs Zelt saß Dennys auf der Wurzel des alten Feigenbaums. Higgaion lag zu seinen Füßen. Sie verharrten still. Über ihnen schwiegen die Sterne.
    Im Zelt stützte Noah seinen Vater, damit der Alte freier atmen konnte.
    »Mein Sohn«, flüsterte Lamech. »Du warst uns ein Segen, mir und dem Land.«
    Noahs Tränen flössen, versickerten in seinem Bart. »Ich war starrköpfig und dumm.«
    Sein Vater lachte leise. »Ich habe nie behauptet, daß du kein Mensch bist. Aber du hörst auf El?«
    »Ich versuche es, Vater. Ich versuche es.«
    »El sagte mir, daß durch dich der Segen…« Seine Stimme brach.
    »Pst, Vater. Das Sprechen erschöpft dich.«
    »Es ist… es ist unser letztes…«
    »Ich höre, Vater. Auf dich. Auf El.«
    »Du wirst tun, was er…«
    »Ja, Vater. Ich werde tun, was er mir befiehlt.«
    »Auch wenn es ...«
    »Auch wenn es mir noch so unverständlich ist.«
    »Yalith...«
    Jetzt weinte Noah rückhaltlos. »Ach, Vater, ich weiß es nicht.«
    »Sei unbesorgt.« Für einen Augenblick war Lamechs Stimme stark und klang beinahe so fest wie jene der Seraphim. Doch gleich verließen ihn wieder die Kräfte, und er flüsterte, leiser als zuvor: »El wird für sie Sorge tragen.«
    »Vater. Vater, bleib bei uns!«
    »Halte mich nicht zurück, mein Sohn… Mein Sohn…«
    Noahs Tränen fielen wie Regen.
    »Unsere lieben Zwillinge…«
    »Ja, Vater?«
    Der Alte rang kurz nach Atem, und dann lächelte er, so überraschend freudevoll, so glückselig, daß sein Lächeln das dunkle Zelt zu erhellen schien! Hatte ein plötzliches Licht sein Lächeln sichtbar gemacht?
    »Vater!« rief Noah. Und nochmals: »Vater!«
    Und sein Schluchzen brach wie Wellen über den trockenen Wüstensand.
    Die Sterne sangen nicht. Der Himmel schwieg. Higgaion richtete sich auf, lauschte angestrengt. Dennys hob den Kopf. Ihm war, als hielten die Sterne ihren Schein zurück.
    Und plötzlich stand vor ihm die Lichtgestalt eines Seraphs, und auf Dennys Gesicht lag wieder der Abglanz der Sterne.
    Japheth und O-holi-bamah hielten auf ihre Weise die Totenwache für Großvater Lamech. Sie gingen in die Wüste, zu ihrem vertrauten Felsen, saßen dort, stumm, hielten einander an den Händen.
    Endlich sagte Japheth: »El sei Dank, daß Vater und Großvater sich versöhnten. Alles wäre schwerer zu ertragen, wären sie in Haß...«
    O-holi-bamah lächelte. »Zwei starrköpfige Alte. Ja, es war besser so. Das haben wir dem Den zu verdanken.«
    Japheth strich ihr über das Haar. »Vater sagt, es sei eine Gnade, daß der Tod Großvater schon jetzt ereilt hat. Er wäre für die Reise zu alt und schwach gewesen.«
    »Für welche Reise?« fragte O-holi-bamah.
    Japheths Augen verdunkelten sich sorgenvoll. »Ach, meine Liebe, ich mußte Vater versprechen, es dir zu sagen. Er behauptet, El habe ihm Seltsames befohlen. Und die Anweisungen seien unmißverständlich gewesen.«
    »Welche Anweisungen?«
    Japheth wand sich unbehaglich. »Es… es klingt wirklich sehr seltsam. El befahl Vater, ein Schiff zu bauen. Eine Arche.«
    O-holi-bamah richtete sich ruckartig auf. »Eine Arche? Mitten in der Wüste?«
    »Ich sagte dir ja, es sei äußerst seltsam.«
    »Ob er sich nicht geirrt hat?«
    »El?«
    »Nicht El. Dein Vater. Hat er vielleicht Els Worte mißverstanden?«
    Japheth

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