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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
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erschienen ihm diese Wörter wie bloße Variationen des Tinnitus, der sich, genau wie im Suff, auch mit zunehmender Erschöpfung rhythmisch pochend verstärkte.
    Er schaute zunächst R an, der derart zusammengesunken war, dass der Kragen seiner Anzugsjacke bis zu den Ohrläppchen ragte. Ö verschonte er mit seinem Blick, sie sah krank und verpickelt aus, sie tat ihm leid. Anschließend wurden die beiden Fachreferenten W 26 und W 27 fixiert, die beide mit der Senatsdrucksache für das Hafenprojekt befasst gewesen waren. Der Blick wanderte weiter, senkte sich aber zu Boden, als er den leitenden Beamten der Behörde, Amtsleiter Senatsdirektor Dr. Ofenschmidt, SPD, dann die anwesenden Abteilungsleiter passierte. Von der Abteilungsleiterstufe aufwärts hielt die Behördenleitung nämlich unter allen Umständen zusammen. Die Abteilungsleiter, W 1 bis W 6, der Amtsleiter, kurz W genannt, und der Senator selbst, Glabrecht, behördenintern S genannt, kritisierten sich allenfalls im inneren Kreis, und dann ausschließlich im Gespräch untereinander, niemals in schriftlicher Form, nicht einmal in E-Mails.
    Glabrechts Staatsrätin Dr. Siebelschmidt-Moormann, diese komplette Null, würde ebenfalls in Zukunft niemanden mehr kritisieren. Sie wurde nämlich gerade geschlachtet und empfing ihre Entlassungsurkunde aus der Hand von Bürgermeister Alte. Glabrecht hatte ihre Entfernung verlangt, und um des Koalitionsfriedens willen hatte Alte nachgegeben.
    Glabrecht lieferte einen sehr ernsten, aber gefassten Eindruck, als er dies mitteilte. Er bedauere es sehr, dass Dr. Siebelschmidt-Moormann sich entschlossen habe, die Behörde zu verlassen. Man habe ihr enorm viel zu verdanken, was das Standing der Behörde betreffe. Ihr Weggang habe – um dies unmissverständlich klarzustellen – nichts mit den aktuellen Problemen zu tun, die sich in der Qualitätssicherung der Wirtschaftsbehörde aufgezeigt hätten. Mit einem geeigneten Nachfolger werde gerade gesprochen.
    »Qualitätssicherung«, das war solch ein Wort, wie Glabrecht es ekelerfüllt liebte. Kaum stand es im Raum, schon legte sich eine Stimmung über die Zuhörerschaft, als säße man am Silvesterabend im Kaminzimmer eines Grandhotels oder eines Kreuzfahrtdampfers und wartete auf das festliche Dinner. »Meine Damen und Herren, es ist so weit, wir beginnen jetzt mit der Qualitätssicherung.«
    Nach einer Viertelstunde verließ Glabrecht die W-Runde. Es gehörte sich nicht, dass S allzu lange in einer Arbeitssitzung seiner Mitarbeiter blieb. S hatte immer und ausnahmslos drängende und verantwortungsvolle Termine.
    Die Wahrheit war: Der Bremer Senat mit seinem kaputt gesparten Verwaltungsapparat, der sein eigenes Hochbauamt aufgelöst hatte und seitdem alles glauben musste, was Bauinvestoren ihm erzählten, mit seinen ungeduschten und schlecht bezahlten Birkenstocksandalen- und Bundfaltenjeansträgern, seinen fett gefressenen Schlampen, die mit Vorgangsmappen in den Händen über die Gänge schlurften und die nirgends sonst auf der Welt einen Job bekommen hätten, mit seinen graubärtigen Sesselfurzern, denen man nicht einmal eine Dienstreise nach Hannover bezahlen konnte, geschweige denn Recherchen auf den Bermudas, in Genf, Tel Aviv oder Gibraltar, wurde angeklagt vom SPIEGEL und von öffentlich rechtlichen Fernsehanstalten, die zehn Milliarden Euro Gebühreneinnahmen nach Gutsherrenart verbraten konnten: Flüge, Hotels, bestes Essen, Drinks, Nutten, alles!
    Glabrechts Wirtschaftsressort hingegen konnte allenfalls die neuesten Sonderangebote von Aldi , Lidl , Tchibo und Saturn recherchieren, aber niemals ein global agierendes Geschäftsnetzwerk aufdecken. In diesem Zusammenhang: Glabrecht persönlich hatte den Leiter der Verwaltungsabteilung ausgebremst, als der die Websites der Discounter im Behördennetz sperren lassen wollte. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten nicht ihren letzten Lebenssinn verlieren.
    Manchmal ging er durch die langen Flure seiner Behörde, und seltsamerweise standen fast alle Türen offen. Drinnen saßen jene namenlose Sachbearbeiter, deren Existenz ihm zum großen Teil gar nicht bekannt war, weil sie nicht Stufen der Hierarchieleiter waren, die lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Briefträgergehältern. Sie starrten auf die Bildschirme, ohne den Blick zur Türöffnung zu wenden, wenn ihr Gebieter vorbeikam, so, als seien sie völlig auf ihre Arbeit konzentriert. Aber die Hände ruhten, die eine Hand auf der Tastatur, die andere auf der

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