Die große Verschwendung
Alicijas Wagen verstaut worden waren, schrieb Marianne eine Satire über die Gefahren des Wertstoffrecyclings für Prominente, selbstverständlich »fiktiv«, wie sie leicht zickig ihrem Mann gegenüber anmerkte. Übrigens besorgte Alicija bei Bedarf auch die morgendlichen Nahrungsergänzungsstoffe für Glabrecht, sofern der sie nicht diskret bei seiner Internet-Apotheke bestellt hatte.
Wahrscheinlich war der große Wert, den er auf die Ordnung seiner Wäsche legte, eine Reminiszenz an die positiven Momente seiner Kindheit, wenn er nämlich dabei zugesehen hatte, wie seine Mutter die präzis gebügelten und gefalteten Hand- und Taschentücher in die Schränke einstapelte. Warum diese Momente derart glücklich gewesen waren, hätte er nicht sagen können. Ein Gefühl von Geborgensein hatte es gegeben, daran erinnerte er sich gut. Noch heute trug er die kindliche Perspektive in seiner Vorstellung: Er schaute am Körper der Mutter entlang nach oben, und es würde ihm nichts passieren, solange sie die Wäsche sorgsam faltete. Das Zimmer war hell, wahrscheinlich hatte man gerade Sommer draußen in der Welt. Die Zeit floss sehr langsam, warm und menschenfreundlich dahin. Immer weiter dehnte sie sich, sie würde nie enden, das Leben würde nie enden.
Beruflich trug Glabrecht ausschließlich anthrazitfarbene Anzüge. Mit aufwändigen Kombinationen wollte er sich nicht beschäftigen. Alicija holte die abgelegten Kleidungsstücke aus seinem Schlafzimmer, wo er sich entkleidete, weil das Ankleidezimmer kein Entkleidungszimmer sein durfte. Einzig mit den Schuhen machte er eine Ausnahme, die tauschte er im Ankleidezimmer gegen Lederpantoffeln aus.
Das musste alles sorgsam voneinander getrennt werden. Vom zu erwartenden katastrophalen Aufbruch in den Tag durfte in seinem Schlafzimmer nichts zu spüren sein, wenn er sich, von der Rotweinmüdigkeit getragen, zu Bett begab, immer wieder aufs Neue mit der Überzeugung, in der kommenden Nacht endlich gut zu schlafen. Zurzeit besaß er vierzehn Anzüge, etwa sechzig Hemden und ungefähr einhundertfünfzig Krawatten, für die es einen eigenen, von ihm selbst entworfenen Krawattenschrank gab, mit Dutzenden von herausziehbaren Hängebügeln aus Edelstahl. Seine von Alicija stets frisch geputzten Schuhe waren in einem Schranksegment verwahrt, das um eine zentrale senkrechte Achse drehbar war. Auch diese Apparatur war nach Glabrechts Plänen gebaut worden. Je nach Wunsch war die Seite mit dem Sommerschuhregal oder diejenige mit dem Winterschuhregal zugänglich. Im Augenblick waren die Sommerschuhe vorne, die Winterschuhe befanden sich in rückseitiger Position. Ihre unsichtbare, perfekt besohlte, geputzte und polierte Gegenwart machte den Gedanken an die bevorstehende dunkle Jahreszeit etwas erträglicher.
Abschließend wählte Glabrecht einen leichten hellen Mantel, legte ihn über die linke Armbeuge, trat zum Fenster des Ankleidezimmers: Herr Berlepsch wartete bereits. War nicht alles gut geregelt, wenn Herr Berlepsch da draußen im Mercedes saß und mit dem Herzen schlug? Glabrecht seufzte laut, löste sich mit einem Ruck, den er durch den Körper schickte, aus der eingetretenen Erstarrung, ging ins Bad und nahm fünfhundert Milligramm Koffein und zehn Milligramm Valium ein. Das pharmazeutische Oxymoron würde ihn an diesem fürchterlichen Tag in einem einigermaßen verhandlungssicheren Zustand halten. Es war seit Jahren Glabrechts letzte Rettung, wenn gar nichts mehr ging, eine Art Notaggregat, das er anschaltete, wenn alle regulären Maschinen ausgefallen waren. Er war danach fünf, sechs Stunden lang angstfrei, gleichzeitig in ausreichender Weise situationsmächtig. Ohne einen Kontakt zu Marianne, die offenbar erst spät in der Nacht nach Hause gekommen war und ihr Schlafzimmer noch nicht verlassen hatte, trat er aus dem Haus.
Mit einem Selbsteindruck, als sei er aus Staub zusammengepresst und könnte jeden Augenblick zerbröseln, wandte er sich am frühen Nachmittag an die Referentenrunde der Wirtschaftsbehörde, die sogenannte »W-Runde«, fragte – »ich nehme mich selbst und meinen Stab dabei nicht aus« –, wie es passieren könne, dass »unsere Behörde in einer derart wichtigen Zukunftsinvestition nicht alle, aber auch alle Informationen über unsere Geschäftspartner aufgearbeitet hat«.
Die Wörter kamen aus seinem verwüsteten Gehirn, als hätte sie ein anderer Mann gebildet, ein erfolgreicher politischer Krisenmanager ohne Todesangst, und während er sprach,
Weitere Kostenlose Bücher