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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
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Maus. Was mochte auf den Bildschirmen zu sehen sein? Satellitenbilder von Google Earth ? Fotos von den Kindern oder E-Mails von den Geschlechtspartnern? Violette menschliche Fortpflanzungsorgane?
    Wenigstens war die Sitzposition gut für die Hälse. Früher mussten alle auf Papier, auf Akten starren, die Hälse nach unten gebeugt. Doppelkinn und Halsfalten entstanden. Und – welch ein Segen für all diese armen käfiggehaltenen Büroschweine, dass die Langeweile, mit der sie früher allein waren, heutzutage durch das Internet gemildert wurde!
    Glabrecht war schon lange klar geworden, dass die politischen Stäbe zu PR-Agenturen aufgerüstet werden mussten. Spätestens in der kommenden Legislaturperiode würde er sich einen PR-Profi sowie zusätzlich einen investigativen Journalisten ins Amt holen. Und wenn der nach Gibraltar oder auf die Fidschi-Inseln fliegen musste, dann würde er eben hinfliegen! Beide würden Honorarverträge erhalten, die Glabrecht gestatteten, sie außerhalb der kümmerlichen Gehaltstabellen des Öffentlichen Dienstes zu bezahlen. Die Personalmittel dafür würde er bei den Fachtiteln einsammeln lassen.
    Genau dies verkündete er nach der W-Runde, als sich die Abteilungsleiter zur wöchentlichen Abteilungsleiter-Runde bei ihm versammelten. Künftig werde außerdem monatlich ein Zukunftsbrief Maritime Metropole als Newsletter verschickt, zunächst an »mindestens zweitausend Adressaten«, wie er sagte. Ö, die für das Projekt verantwortlich sei, habe bereits damit begonnen, den Verteiler zusammenzustellen. Später würde jeder Internet-Nutzer den Zukunftsbrief per Mausklick abonnieren können. In diesem Newsletter seien die Erfolge des Senats zu kommunizieren.
    Das Wort »Zukunftsbrief« war Glabrecht vor wenigen Tagen eingefallen. Alle verwendeten es sofort in selbstverständlicher Weise, so, als sei es wohlbekannt. Klar doch, ein Zukunftsbrief, was denn sonst? Übrigens lieferte Google immerhin über dreihundert Treffer, wie eine spätere Überprüfung ergab. Fast alle überhaupt denkbaren Wörter waren offenbar bereits gebildet worden. Nur mit Kombinationen, wie zum Beispiel mit Glabrechts definitiver Neuerfindung, der geplanten »Crossover-Bespielung« der Maritimen Oper , konnte man noch Pionierarbeit leisten.
    Außerdem, so verkündete er den Abteilungsleitern W 1 bis W 6, werde er über regelmäßige Video-Podcasts nachdenken, die man über bremen.de und Youtube anbieten könnte. Frau Merkel mache das schließlich ebenfalls. Ö, die Ärmste, hatte auch dies umzusetzen. Sie war angewiesen, sich zur Unterstützung ein paar Journalismus- und Medienwissenschaftsstudentinnen zu holen. »Nehmen Sie die Unattraktiven!«, sagte Glabrecht freundlich lächelnd, als er später mit Ö allein war, »die müssen besser arbeiten als die Beauties, wenn sie die Besetzungscouches der Medien überstehen wollen. Und in die Medien wollen sie ja alle.«
    Ö grinste mimetisch arschkriecherisch. Schade, dass ihre Ex-Kolleginnen von der taz das nicht sahen! Glabrecht legte noch einen drauf: »Körbchengröße, Beinlänge, sonstige Schönheit und präzise eingesetzte Hingabebereitschaft sind dort viel wichtiger als Fleiß und Talent.«
    »Da haben Sie wohl recht«, sagte Ö.
    Fast unmöglich, dass der Penner vor Glabrechts Behörde die ganze Pressekampagne mitverfolgt oder gar den SPIEGEL gelesen hatte! Tatsache aber war: Just an diesem Morgen nach Glabrechts schrecklicher Nacht war es nach langer Pause wieder einmal geschehen, dass er aus voller Kehle »Verrrnichtung« geschrien hatte, als Glabrecht die Behörde betrat. Der drehte sich zu ihm hin und begegnete dem Blick, den der Mann ihm aus seinem höhnisch verzerrten schmuddeligen Gesicht zuwarf. Und dann hatte der Mann ein zweites Mal »Verrrnichtung!« geschrien. Das Wort traf Glabrecht mit voller Wucht, auch deswegen, weil er genau derselben Meinung war.
    Übrigens mehrten sich die Zeichen. Am späten Nachmittag desselben Tags, nach der Abteilungsleiterrunde, als Glabrecht im Zustand seiner jenseitigen Übermüdetheit zu Fuß ins Rathaus ging, empfand er seine eigenen Beine und Füße als etwas Fremdes, das sich viel zu weit vom Kopf entfernt befand und sozusagen auf eigene Faust bewegte. Er versuchte gar nicht erst auszuprobieren, ob er eventuell abrupt hätte stehenbleiben können. Über seinen aktuellen Zustand, seine selbstempfundene Verschimmeltheit, wollte er sich schon gar nicht Rechenschaft ablegen müssen.
    Gerade passierte er einen Juwelierladen.

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