Die große Verschwendung
Adriana wird dich nicht retten, wie gesagt: Die Liebe kann dich nicht heilen. Mich jedenfalls konnte sie nicht heilen. Andererseits: Mir ist in Wahrheit keine Alternative zu der Angelegenheit eingefallen – und schon gar nicht zu diesem Wort. Was also schwätze ich hier rum? Vergiss es! Du musst tun, was niemand von uns lassen kann.«
Glabrecht starrte eine Weile auf Madlés Botschaft.
»Wieso sitzt du um diese Zeit vor dem Computer?«, schrieb er dann.
»Auch ich gehöre zur geheimen Bruderschaft der Schlaflosen«, antwortete Madlé, »und warte nachts auf Botschaften, die mich erlösen.«
6.
Nach mehreren erfolglosen Anläufen verließ Glabrecht gegen sechs Uhr dreißig das Bett, geradezu unwirklich erschöpft, mental und körperlich zerfressen. Er ging runter in die Küche, stützte sich ein, zwei Minuten mit hängendem Kopf und allzu langsam pochendem Herzen auf die Anrichte, füllte ein Halbliter-Trinkglas mit Spa . Es kamen, wie üblich, hinzu: eine Tablette mit dreihundert Milligramm Magnesium, eine Aspirin -Brausetablette und – weil sein Magen das Aspirin schlecht vertrug – eine Zwanzigmilligrammtablette Esomeprazol -Protonenpumpenhemmer, ein Stoff, der nebenbei dafür sorgte, dass Glabrecht während der Sitzungen nicht allzu häufig furzen musste und überhaupt sein Darm ruhig blieb, der ansonsten vom Magnesium leicht in Wallung geriet. Mit einem langen Löffel rührte Glabrecht das schäumende Gebräu um, starrte auf die im Glas kreisende milchige Flüssigkeit, und erst, als alles zur Ruhe gekommen war, trank er das Glas mit einem einzigen Zug leer. Er füllte es erneut mit Spa , spülte damit eine Zinktablette hinunter, die für die Beweglichkeit seiner Spermatozoen sorgen sollte, eine Kapsel mit Vitamin C, eine Multivitamintablette sowie ein hochdosiertes Vitamin B12-Präparat, schließlich jenes Sägepalmenzeug, das angeblich die altersbedingte Vergrößerung der Prostata verhindern würde. Außerdem nahm er, als Krebsschutz, eine Selen-Kapsel ein sowie fünfzig Milligramm Resveratrol , das aus roten Trauben gewonnen wurde und von dessen lebensverlängernder Wirkung Glabrecht Wunderdinge gelesen hatte.
Auch an diesem Morgen, während er noch erschlagen über der Anrichte verharrte, vergaß er keineswegs, sich die höhnischen Fragen nach dem Sinn eines solcherart verlängerten Lebens zu stellen sowie nach der Wahrscheinlichkeit, das in jenem Leben eine energische Nachfrage nach beweglichen Spermatozoen an ihn herangetragen werden könnte. Das eigentliche Frühstück bestand aus einer Scheibe Brot. Den säuerlichen Brotbrei drückte er fast mit Gewalt die Kehle hinunter.
Als die Grünen ihn vor über sieben Jahren von seinem hoffnungslosen Job bei der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit erlöst und nach Bremen in den Senat geholt hatten und er dieses Haus mietete, verwirklichte er sich, gegen Mariannes heftigen Einwand, es handele sich hier doch um ein Mietobjekt und kein Eigentum, einen alten Wunsch: das Ankleidezimmer, mit ringsum maßgezimmerten Schränken sowie mit mehreren laufenden Metern Kleiderstangen. Nie wieder Textilien, die sich gegenseitig einquetschten!
Auch an diesem Morgen, als er fertig rasiert und geduscht das neben seinem Schlafzimmer liegende Ankleidezimmer betrat, begrüßte er die deutlichen Abstände zwischen den Hemden und Anzügen, die Ordnung, die hier herrschte und die sich spätestens dann auf ihn übertragen wollte, wenn er das Geräusch der Rollen hörte, auf denen die Schubladen in ihren Teleskopprofilen liefen. Hier hatte Alicija ganz besondere Sorgfalt anzuwenden, wenn sie Socken, Unterhemden und die Schweizerischen Boxershorts einsortierte.
Alicija war etwa fünfunddreißig Jahre alt, besaß große Brüste und ein üppiges Gesäß. Sie verfügte über eine freundliche, warme Art. Niemals wechselte Glabrecht die Unterhose, ohne daran zu denken, dass Alicijas Hände sich mit diesem Kleidungsstück beschäftigt hatten, dass sie also, wenngleich zeitversetzt, in der Nähe seiner Genitalien gewesen waren. Zum letzten Jahreswechsel hatte er ihr ein Geldgeschenk in unangemessener Höhe gemacht. »Für die Flaschentransporte«, hatte er gesagt.
Alicija lud nämlich bei Bedarf die zahlreichen von Glabrecht geleerten Weinflaschen unauffällig in ihren Fiesta , um sie in entlegenen Glascontainern zu entsorgen. Als öffentliche Person musste Glabrecht zu solchen Methoden greifen, um sich zu schützen. Nachdem die ersten paar Dutzend Flaschen vor der Garage in
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