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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
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Davor stand ein alter Herr im dunklen Anzug. Darüber trug er einen Trenchcoat. Er war groß gewachsen, an Hans Albers erinnernd, von insgesamt sehr gepflegter Erscheinung, sah man von den Pantoffeln ab, die er an den Füßen trug. Der Mann konnte erst vor sehr kurzer Zeit erhebliche Teile seines Verstandes verloren haben. Offensichtlich erkannte er den Wirtschaftssenator und begann sofort, mit lauter Baritonstimme in dessen Richtung zu deklamieren. Es war Glabrecht, als sei dies alles ganz bewusst hier inszeniert worden und als sei bekannt, in welcher Befindlichkeit er selbst steckte.
    »Diese Stadt, Herr Senator, weiß meine überragenden Verdienste nicht zu schätzen. So behandelt man keinen verdienten Künstler und Bürger.«
    Er deutete mit dem Finger auf Glabrecht.
    »Ich werde die Konsequenz ziehen und Bremen verlassen. Und diese Stadt wird zusammenbrechen!«
    Das Wort »zusammenbrechen« klang selbst wie ein Zusammenbruch, und Glabrecht bemerkte sehr wohl, dass das »r« gerollt worden war. Ein, zwei Dutzend Passanten waren stehen geblieben und schauten, wie Glabrecht aus den Augenwinkeln bemerkte, in seine Richtung. Zweifellos gaben sie dem Verrückten Recht und freuten sich über seine Attacke auf ein Mitglied der Politikerbande.
    Und dem sah man es gewiss an, dass seine Generalangst sich verschärft und in viele Unter- und Spezialängste aufgespalten hatte. Die vergangenen Nächte hindurch hatte Glabrecht durchaus versucht, sich klar zu machen, dass seine Furcht in keinem Verhältnis zu den Verfehlungen stand, die er und seine Behörde sich eventuell hatten zuschulden kommen lassen. Das war doch normale Politik, die er da betrieb, und diese publizistischen Feinde, denen gegenüber er sich tagsüber durchaus souverän aufführte, die hatten rein menschlich nichts gegen ihn! Den Kopf nach vorne gerichtet, die Mundwinkel starr nach oben gedrückt, setzte Glabrecht raschen Schritts seinen Weg zum Rathaus fort.
    7.
    Die erste Senatssitzung nach dem SPIEGEL -Artikel war eine einzige Schlacht. Sie begann mit der Mitteilung, dass die CDU bereits in der kommenden Woche eine große parlamentarische Anfrage zum gesamten Bauvorhaben und den Beziehungen des Senats zur Nordic Urban Development einreichen werde. Die Anfrage mit all ihren ausgesuchten Gemeinheiten, die nur dazu dienen würden, die Verwaltung lahm zu legen, würde Glabrechts gesamte Behörde und große Teile der übrigen bremischen Verwaltung beschäftigen und in die Verzweiflung treiben. Folglich war ein rasender Bürgermeister zu erleben, dem aus Angst vor der kommenden Bürgerschaftswahl die Resthaare zu Berge standen. Übernächtigte, längst von ihren jeweiligen Dienstherren zerfleischte Pressesprecher waren hinzugebeten worden. Auch Frau Tannenhart, Ö, leichenfahl, noch mehr Pickel als vorige Woche, die Beine voll schwarzer Haarstoppeln, wurde vom Bürgermeister direkt attackiert, wobei er natürlich den Sack schlug, aber den Esel, nämlich ihren Chef, Senator Dr. Glabrecht, meinte.
    Wo waren die undichten Stellen? Warum waren die Investoren nicht genauer durchleuchtet worden? Warum gelang es dem Senat nicht, die Presse auf seine Seite zu bringen? Wie bereitete man die fällige Pressekonferenz vor?
    Mittendrin in diesem Getümmel hatte Glabrecht plötzlich die erlösende Vorstellung, er könnte aufstehen und sagen: »Leckt mich doch alle am Arsch!«
    Irgendwie steckte er in der Scheiße. Sein Herz schlug hart und unregelmäßig, sein Magen brannte, und das Schlimmste war, er litt seit Tagen unter grauenhaften Blähungen, die ihn immer wieder an die ausstehende Darmspiegelung erinnerten, die er, als familiär schwer Vorbelasteter, eigentlich längst hätte durchführen lassen müssen. Mit aufgetriebenem Bauch verließ er die Senatssitzung und ging zur Toilette. »Niemand da!«, sagte er erfreut und laut zu sich selbst, entspannte die verkrampften Beckenbodenmuskeln und ließ einen sekundenlangen reintönigen und wohlklingenden Posaunenstoß erschallen, der die Mauern von Jericho eingerissen hätte. Erst danach bemerkte er, dass eine der drei Kabinen von einem Kerl besetzt war, der feige jede Geräuschentwicklung eingestellt hatte und wahrscheinlich mit angehaltener Luft über seinem Scheißhaufen kauerte. Mäusesacht schlich Glabrecht wieder raus aus dem Klo, in der Hoffnung, dass der Mann in der Kabine nicht wusste, wer da am Werk gewesen war.
    In seinem augenblicklichen Zustand hätte er sich Adriana nicht körperlich präsentieren wollen. Viel zu

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