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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
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Hafen, mit Blick auf die künftige Baustelle, jeder Taxifahrer kennt das.«
    Auf der Terrasse des Restaurants trat Mavenkurt auf Glabrecht zu. Sie befanden sich auf dem Dach eines ehemaligen Hafenspeichers, in dem sich zur Zeit des »New Economy«-Booms mit finanzieller Unterstützung des Senats etwas herausgebildet hatte, das sich Creative Center nannte. Es gab Architektenbüros, Werber, einige Software-Firmen, PR-Büros und so weiter. Auch ein Laden für Design war vorhanden sowie ein kleines Hafenmuseum. Ganz oben, im neuen Staffelgeschoss aus Glas und Metall, lag das Sehstern . Glabrecht war allein gekommen. Sowohl Ö als auch R hatte er in der Behörde gelassen.
    An diesem Tag war die Luft von lang nicht mehr da gewesener Klarheit. Aus nördlicher Richtung wanderten Staffeln flacher kleiner Wölkchen über den blauen Himmel, und pflichtbewusst gab Glabrecht sich selbst zu Protokoll, dass dieser Himmel aufs Schönste mit dem Dunkelblaugrau der Weser korrespondierte – wie sein eigenes blaues Hemd mit dem Dunkelblau seiner Krawatte und seines Anzugs. Das alles hätte es verdient gehabt, eine emotionale Würdigung im Innern Glabrechts zu erfahren. Aber dort geschah nichts dergleichen. Der böige kalte Wind staute sich in seinen Haaren, die keinen Zentimeter aus ihrer Form wichen.
    Aus den Augenwinkeln sah er Mavenkurt auf sich zukommen, wandte aber das Gesicht erst im letzten Moment zu ihm hin. Der Zugriff seiner Augen funktionierte heute besonders schlecht, da war es besser, mit den Blicken sparsam umzugehen. Er hatte nichts von Adriana gehört, hatte auch nicht versucht, sie anzurufen, statt dessen viel getrunken, anschließend kaum geschlafen, während ihm seine verschiedenen Ängste zu schaffen machten. Zolpidem hatte schließlich, schon dicht am Morgen, einen sehr kurzen Schlaf gebracht.
    An solchen Tagen befiel Glabrecht, wenn er jemanden anschaute oder wenn er es zulassen musste, angeschaut zu werden, ein Gefühl, als seien seine Augen sehr klein und von grauer, halb durchsichtiger und überdies aufgerauter Haut überhangen. Er kam sich fleckig und hässlich vor, und die Farben der Dinge, die er sah, drangen nicht in ihn ein. Die Welt trat so ähnlich auf wie an sehr kalten Wintertagen mit bedecktem Himmel und leichtem Nebel. Am liebsten wäre er dann in einer menschenfreien Landschaft ganz ohne Gesichter gewesen.
    Mavenkurt trug Nadelstreifenanzug, weißes Hemd mit scharlachroten Manschettenknöpfen und gleichfarbiger Krawatte. Er wahrte zum Glück den größtmöglichen Abstand, so dass man sich gerade eben, leicht nach vorne gebeugt, die Hände schütteln konnte. Glabrecht sagte dabei nicht »Guten Tag, Herr Mavenkurt«, sondern »Tschüß, Herr Mavenkurt«.
    Das war ihm schon ein paarmal passiert, in ähnlichen Zerrüttungszuständen wie heute, und es waren daraus ziemlich peinliche Momente entstanden. Mavenkurt jedoch schien den Fehler nicht zu bemerken, vielleicht auch deswegen, weil er gerade mit seiner Frisur zu tun hatte. Mit Unterstützung eines weit außen liegenden Seitenscheitels waren seine langen Resthaare über die Schädelkahlheit gekämmt – leider in die Richtung, aus der der Wind kam, so dass gerade im Augenblick eine lange Haarsträhne fast senkrecht in die Höhe geblasen wurde.
    »Ich bin nicht zum ersten Mal hier«, sagte er mit seiner schweizerischen Stimme, indem er mit dem Kopf, auf den er die Fläche seiner Linken gelegt hatte, um die Haare zu bändigen, in die Richtung des zugeschütteten Hafenbeckens nickte, auf dessen Fläche das Bauvorhaben entstehen sollte.
    »Ein wunderbares Projekt, das wir hier zusammen planen.«
    »Wir haben das Projekt in den letzten Wochen nicht mehr ganz so wundervoll gefunden«, sagte Glabrecht. Der Ton seines Satzes war schärfer, höhnischer ausgefallen, als er das erwartet hatte.
    Nebeneinander hergehend, betraten sie das Lokal, und Glabrecht glaubte zu bemerken, dass ihrer beider Schritte dabei immer langsamer wurden, so, als bremsten sie sich wechselseitig ab, als wollte der eine dem anderen keinen Rücken zeigen, in den sich die Dolchgedanken des Hintermannes hätten bohren können. Aber was war das für ein Unsinn, den er sich da zusammendachte? Was sollte Mavenkurt denn Schlimmes im Schilde führen?
    »Bleiben Sie tapfer, Herr Senator, wenn alles überstanden ist, wenn das hier fertig ist, werden alle auf das Projekt stolz sein – und auf Sie.«
    Sie wurden zum reservierten Tisch geführt. Er bot Mavenkurt den Platz »mit dem Blick in die

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