Die große Verschwendung
Trennung.
Glabrecht fixierte einen Punkt an der Decke seines überhitzten Büros. Bald würde er den grünen Knopf an der Telefonanlage drücken und seine intensive spätnachmittägliche Arbeitsphase für beendet erklären. Gab es denn tatsächlich keine andere Möglichkeit neben der Auswahl: Vergraben- oder Verbranntwerden? Konnte es nicht doch sein, dass man daran vorbei kam, am Sterben und an dieser Entscheidungsalternative? Er wollte seine lächerliche Willensfreiheit nicht auf diesem Feld betätigen. Er wollte sich nicht für eine Begräbnisart entscheiden müssen! Schon als Kind hatte er sich die Frage gestellt, ob es kein Entkommen gab vor dem Sterben. Tausend Mal hatte er sie gedacht, diese Frage. Sie wurde stofflich, zäh, sie floss wie Magma. Und schließlich erstarrte sie, schwarz und unvernichtbar.
Auch er, der er seine charakterlichen und physiognomischen Ähnlichkeiten zum Vater in der Tat immer deutlicher erkannte, auch er würde, falls er das väterliche Alter erreichen würde, in achtundzwanzig Jahren tot sein. Aber nicht einmal mit diesen wenigen Jahren konnte er rechnen, angesichts der Krankheitsgeschichte seiner Mutter und ihrer beiden, genau wie sie selbst an Darmkrebs gestorbenen Geschwister.
Die Darmspiegelung! Seit Jahren schob er sie vor sich her, wenn er das so sagen konnte. Jedes Mal, wenn er zu seinem Arzt ging, fragte der ihn danach.
Das rhythmische Feilen im Ohr war zu hören, und, jenseits davon, die Stille des Raumes. Der grüne Knopf war immer noch nicht gedrückt. Das Entsetzen lähmte Glabrecht, bedeckte ihn, bedeckte den Schreibtisch, den Boden und das gesamte Mobiliar. Alles war davon bedeckt, wie von einem schweren Tuch, das alle Konturen einebnete und jede Bewegung verhindern wollte. Glabrecht schüttelte den Kopf samt den Schultern heftig hin und her wie ein nasser Hund, um das Entsetzen aus seinem Gehirn hinaus zu schleudern. Es nutzte wenig. Sein Restkörper wollte einfach nicht gehorchen. Mehrere Befehle an seine Beine, sich vom Heizkörper zu heben, blieben unbefolgt.
Er benötigte dringend eine Flasche Wasser und einen schwarzen Kaffee, drückte endlich den grünen Knopf und die Wahltaste zu seinem Vorzimmer.
»Frau Scholz, könnten Sie so lieb sein, mir einen frischen Kaffee zu machen? Und bringen Sie bitte eine Flasche Wasser mit rein?«
»Aber sofort, Herr Senator«, kam es aus dem Lautsprecher des Telefons, und Glabrecht, endlich aufrecht am Schreibtisch sitzend, erstarrte wieder, um die Ankunft der Getränke zu erwarten.
Drittes Kapitel
1.
Nicht zuletzt ein Interview, das der alte Vollmer in der Kultursendung Aspekte gegeben und in dem er sich heftig für die Maritime Oper eingesetzt hatte, beruhigte die Lage für den Senat etwas. Außerdem hatte die »mäzenatische Nachrüstung«, wie man die Aufbesserung des Angebots seitens der Nordic Urban Development behördenintern nannte, Gestalt angenommen.
Die Maritime Oper , das hatten Glabrecht und die Kultur-Fröhlich Anfang Dezember unter epidemischer Verwendung des Wortes »nachhaltig« bekannt gegeben, werde von der Nordic Urban Development als Niedrigenergieprojekt ausgerüstet. Dazu gehörte unter anderem die südseitige Bestückung der wellenförmigen Dachstruktur mit hochmodernen dünnschichtigen Solarzellen. Außerdem würden überall im Gebäude, auch im Großaquarium, neueste Energiespartechniken und alternative Energiegewinnungsanlagen verbaut, einschließlich eines kleinen Gezeitenkraftwerks zur Ausnutzung des Tidenhubs der Weser.
Auch die vom Senat unabhängigen Investitionen setzten »leuchtturmhaft« auf Umweltschutz und würden damit weltweit Aufsehen erregen. Auf dem Wellness-Hotel: völlig neu entwickelte, walzenförmige und fast geräuschlos laufende Windrotoren! Die Stromversorgung der Yachten in der Marina werde aus einer eigenen, großflächigen Solaranlage gespeist.
Insgesamt handele sich um ein Volumen von zusätzlich fast elf Millionen Euro, das von den Investoren bereitgestellt werde. Ein großer Teil des Energiebedarfs der Maritimen Oper und der Sea-World mit allen ihren Einrichtungen werde aus eigenen natürlichen Quellen gespeist werden. Eine weltweit beachtete Demonstration nachhaltiger Energietechniken im Kampf gegen den CO 2 -Ausstoß und die menschengemachte Klimakatastrophe werde entstehen, die den Wirtschaftsstandort Bremen zusätzlich stärken werde. Hinzuzufügen sei, dass die Nordic Urban Development auf die Nachbesserung des bremischen finanziellen Beitrags für die
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