Die große Verschwendung
Ferne« an. So würde der andere das Tageslicht im Gesicht haben. Glabrecht selbst saß im Gegenlicht und blickte in den Raum hinein, wovon er sich einen physiognomischen und mentalen Vorteil versprach. Beide bestellten Rotbarschfilet, die Spezialität des Hauses, und zu Glabrechts Freude orderte Mavenkurt wie selbstverständlich eine Flasche Wein dazu, einen Bacharacher Riesling. Glabrecht trank mit spitzen Lippen, saugte dennoch einen voluminösen, einen erlösenden Schluck in seine Kehle. Erst danach nippte er, schmeckte, nickte, als Mavenkurt den Wein lobte. Es ging es ihm gleich viel besser.
Eine halbe Stunde später trabte das Gespräch gemächlich voran. Mavenkurts Kopf schien direkt auf den Schultern zu kauern. Offenbar hatte er einen kurzen Hals. Glabrecht dachte daran, dass er immer noch nicht den Nachruf auf Günter Grass geschrieben hatte. Stets sprach Mavenkurt sozusagen im Aufblicken, während die normale Kopfhaltung eher diejenige eines Spurensuchers war. Die Stimme blieb immer bedächtig, auch über den belanglosesten Satz, den er gerade gehört hatte, schien er zunächst nachzudenken, ehe er völlig ruhig und irgendwie dankbar im Tonfall antwortete, so, als habe er ein Geschenk erhalten. Auf Dauer wäre das wohl ein Problem gewesen, das Glabrecht mit ihm hätte haben können.
Es war ihm bislang gelungen, Mavenkurt nicht nach Adriana zu fragen. Was machte sie, wenn sie in St. Gallen war? War sie gerade dort?
Man war über den Riesling und die beklagenswerte Tatsache, dass die Reblaus den Mittelrhein-Weinbau rechtsrheinisch fast völlig ausgerottet hatte, über die ästhetische Kurzlebigkeit der modischen Glasarchitektur, über Elektroautos, Bergwandern und Skifahren in der Schweiz, über die Gefahr der islamischen Parallelgesellschaft und den drohenden Bürgerkrieg in Mitteleuropa zur eigentlichen Sache gekommen, und zwar genau in dem Moment, in dem die Teller mit der Hauptspeise, dem Rotbarsch, auf den Tisch gestellt wurden.
»Wissen Sie«, sagte Mavenkurt, »wenn man das Gelände hier sieht, wenn man bedenkt, wie viele Chancen Bremen in der Vergangenheit verspielt hat – selbst wenn all das stimmen würde, was da gemunkelt und geraunt wird, bedenken Sie doch einmal den psychologischen Schub, den diese Stadt erfahren wird. Stellen Sie sich vor, die Oper, hier, direkt vor diesem Fenster, das Aquarium, die Marina, Segler aus aller Welt, australische Flaggen, Neuseeland, USA, die Atmosphäre. Skipper mit Millionen in den Taschen halten sich hier auf. Und dann der Klimawandel – die Leute haben keine Lust mehr auf die Hitze im Mittelmeerraum, die kommen in Zukunft verstärkt in den Norden.«
»Sie müssen mich nicht überzeugen«, sagte Glabrecht, »die Medien sind das Problem, die ganzen Linkspopulisten und Moralisten, die gegen das Projekt anrennen. Jedenfalls bin ich erst einmal sehr froh darüber, dass Crawfield eingelenkt hat. Sonst wäre es zur Katastrophe gekommen, glauben Sie mir.«
»Wir hatten nicht im Ernst damit gerechnet, dass es keinen Ärger mehr geben würde. Deswegen gab es noch ein paar Pfeile in unserem Köcher. Allerdings sind wir Ihnen persönlich zum größten Dank verpflichtet. Jemand wie Sie sollte eigentlich größere Verantwortung tragen. Die Sache mit der Nachhaltigkeit war einfach genial, das Ei des Kolumbus – wahrscheinlich der einzige Weg, um Ihre eigene Klientel ein wenig zu befrieden. Und Sie werden das schon schaffen mit den immer noch Unbelehrbaren, auch in Ihrer Partei.«
Glabrecht beobachtete sein Gegenüber. Wusste der etwas von Kollege Bohnhoffs Kapriolen? In Mavenkurts unbewegtem Gesicht war jedoch nichts zu lesen.
»Mr. Crawfield würde sehr gern häufiger auf Ihren Rat und Ihren Sachverstand zurückgreifen, auch in ganz anderen Zusammenhängen als diesem hier.«
Er zeigte an Glabrecht vorbei in den Himmel über der Weser.
»Unsere Muttergesellschaft e-bets unterhält in Liechtenstein eine große gemeinnützige Stiftung, die Stiftung für globales Handeln , für die ich ebenfalls die juristischen Dinge erledige. Außerdem bin ich im Stiftungsvorstand. Wir geben viel Geld für kultur- und entwicklungspolitische Zwecke aus, übrigens auch und gerade auf den Feldern, auf denen Sie sich einen wissenschaftlichen Namen gemacht haben – Wirtschaftsbeziehungen zu den Entwicklungsländern. Aber die Medien berichten natürlich lieber über unsere Online-Casinos als über unsere Wohltaten. Das verkauft sich wesentlich besser. Lieber Herr Dr. Glabrecht, die
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