Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Titel: Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Torday
Vom Netzwerk:
rot – leuchtend rot und brennend.

Kapitel 10
    * Wir sagen Beerenauge dazu* , erklärt der Hirsch. * Die Beerenaugen sind das letzte Anzeichen, ehe eine große Hitze die Tiere innerlich verbrennt. Die hier haben nicht mehr lange zu leben. Die Seuche breitet sich ungehindert von einem Tier zum anderen aus. Nichts verschafft Linderung, weder Wasser noch Nahrung noch Ruhe .*
    Als wolle das Virus den Beweis liefern, wird das Reh plötzlich von einem heftigen Husten geschüttelt. Der magere Körper krümmt sich unter Krämpfen und es zittert am ganzen Leib. Dann versagen ihm die Beine und es bricht zusammen. Die anderen Rehe scharen sich um das Tier, stupsen es an und helfen ihm, wieder aufzustehen, während der Hirsch zuschaut.
    * Für uns ist es in jeder Hinsicht ein Rätsel – aber wir können nicht zulassen, dass sich die Seuche weiter ausbreitet. Wenn diese Tiere gestorben sind, kommen andere an die Reihe, und bald werden alle tot sein. Die Krankheit wird nicht verschwinden, bis wir alle von der Erde getilgt sind, und dann …* Er hält inne, so als habe er noch etwas sagen wollen, es sich jedoch anders überlegt. Schweigend blickt er zum Himmel. Für mich ist es der erste klare, helle Himmel seit Jahren, der erste Himmel, an dem die Sonne scheint und an dem keine dunklen Wolken stehen.
    Ich kann es kaum glauben, dass der Hirsch seinen Tieren so unverblümt sagt, dass sie sterben müssen, aber die Kranken blinzeln nicht einmal.
    * Warum zeigst du mir das?* , frage ich und weiche einen Schritt zurück . *Was erwartest du von mir?*
    Meine Worte klingen viel schroffer als beabsichtigt. Der Hirsch schüttelt erstaunt den Kopf. Ein Raunen geht durch das Letzte Wild.
    * Was wohl, junger Mensch? Du sollst uns helfen. Du sollst helfen, ein Heilmittel zu finden .*
    *Aber ich bin doch nur ein Junge. Die besten Wissenschaftler der Welt haben es versucht –*
    * Du bist ein Junge, der uns versteht und unser Fürsprecher sein kann. Du kannst deinen Mitmenschen sagen, dass das Letzte Wild noch lebt. Und du kannst uns ein Heilmittel bringen – ein ganz besonderes Mittel, hervorgebracht mit euren menschlichen Zauberkünsten .*
    Menschliche Zauberkünste, die bisher kläglich versagt haben.
    * Du weißt, dass ich nicht sprechen kann – mit den anderen Menschen, meine ich .*
    *Menschen kennen viele Mittel und Wege, sich verständlich zu machen, da bin ich mir sicher .* Der Hirsch senkt den Kopf und geht auf die Knie, wie um sich zu verbeugen. * Aber wir haben nur dich .*
    Ich unternehme einen letzten Versuch.
    * Ich verstehe immer noch nicht, warum ihr ausgerechnet mich ausgewählt habt .*
    *Du hast zu uns gesprochen. Du hast zur Motte und zum Kakerlak gesprochen. Du hast die Gabe der Rede .*
    Ich schüttle den Kopf. So etwas Ähnliches haben auch die Tauben in meinem Zimmer gesagt. Aber ich habe keine Begabung – wenn man von dem zweifelhaften Talent absieht, mich immer weiter von zu Hause zu entfernen.
    Der Hirsch sieht mich eindringlich an.
    * Als wir hörten, dass es einen Jungen gibt, der versucht, mit uns zu sprechen, haben wir beschlossen, dich herbeizurufen .*
    *Ich wollte doch gar nicht mit ihnen reden, ich wollte …* Meine Worte ersterben, als ich sie ansehe, die letzten Tiere dieser Erde, und ihren großen Anführer. Alle warten auf meine Antwort.
    Der Hirsch wiederholt seine Frage noch einmal.
    * Ich frage dich, nun, da du hier bei uns bist – willst du uns helfen?*
    Ich blicke auf den Felsen hinter mir, auf das dunkle Wasser vor mir, auf die silbernen Bäume, die sich meilenweit am Ufer erstrecken. Das Ende der Welt, Zuflucht von Tieren, die die Rote Pest haben, Tieren, die sterben werden, wenn ich ihnen nicht helfe. Die letzten Tiere überhaupt. Sein Letztes Wild , so hat er sie genannt.
    Ich denke nach.
    Ich denke noch angestrengter nach.
    Eine winzige Chance gibt es. Eine überaus winzige, aber es ist die einzige, die sie haben, und ich spreche sie aus.
    * Ich kann nicht zaubern und ein Heilmittel für das Beerenauge finden .* Die Tiere heulen auf vor Verzweiflung. * Aber mein Vater ist ein berühmter Wissenschaftler – ein Magier unter den Menschen, der sich mit Tieren beschäftigt. Er kann euch vielleicht helfen .*
    Von allen Seiten kommt Gemurmel und Geschnatter. Der Hirsch mahnt die Tiere zur Ruhe, dann fragt er mich: * Bist du dir sicher? Bist du sicher, dass die Künste deines Vaters das Beerenauge heilen können?*
    Nein, ich bin mir nicht sicher. Sechs Jahre sind vergangen und ich habe nichts von meinem

Weitere Kostenlose Bücher