Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)
von Zauberkunststückchen hinters Licht führen. Und schon gar nicht von diesem Menschenkind, das zufällig unsere Sprache spricht!* Der Wolf spuckt aus. * Nicht du bist der Wächter der Wildnis, sondern wir. Uns haben die Tiere als ihre Beschützer gewählt!*
Die Tiere antworten mit aufgeregtem Murmeln.
* Warum habt ihr uns dann nicht vor dem Beerenauge beschützt?* , züngelt eine Schlange.
* Ja!* , ruft eine Eule. * Davor könnt ihr uns nicht schützen. Das kann nur die Magie der Menschen! *
Der Graue Wolf ruft: * Ruhe! Wo ist euer Vertrauen? Haben wir euch nicht immer beschützt? Die Ordnung der Natur muss bewahrt werden, koste es, was es wolle .*
Die Tiere scharren nervös. Dann ertönt eine Stimme, eine hohe, unsichere Stimme – sie gehört dem jungen Reh, das zuerst ans Seeufer gekommen ist.
* Du willst doch nur, dass wir dir als Beute erhalten bleiben. Du begreifst nicht. Die Seuche wird uns alle töten – was nützt uns da noch deine Ordnung der Natur?*
Das Letzte Wild gerät in Aufruhr. Eine besonders große, räudige Katze faucht das Reh an: * Hab Vertrauen! Die Wächter werden uns beschützen!* Vögel brechen in lang gezogene Klagelaute aus. Einer der Wölfe versucht, sie mit einem Knurren zum Schweigen zu bringen, aber sie lassen sich nicht beruhigen.
* Wir sind verloren! Was soll nur aus dem Letzten Wild werden?*
Ein Eber steigt auf den weißen Felsbrocken hinter mir und zeigt seine Hauer.
* Ich stehe auf dem Weißen Felsen. Also hört mich an .*
Das Gemurmel verebbt. Der Eber lässt den Blick über die versammelten Tiere schweifen, dann fängt er an zu sprechen.
* Die Wächter haben recht! Dieses Menschenkind kann und soll uns nicht helfen. Was mich betrifft, glaube ich nicht an die alten Träume, in denen von jener ganz besonderen Stimme die Rede ist. Die Menschen haben uns getötet, uns aus dem Land vertrieben und sich zusammengeschart. Warum sollten gerade sie ein Heilmittel für uns finden?*
Zufrieden schenkt der Graue Wolf dem Eber ein herablassendes Lächeln.
* Aber er hat die Stimme!* , ruft jemand. * Die alten Träume sind wahr!*
Bei all dem Geschrei und Gezeter höre ich kaum, wie der Hirsch mir zuflüstert: * Spring auf meinen Rücken – jetzt!*
Zuerst begreife ich nicht, was er meint. Ich kann den Blick nicht von dem Wolf lösen, der uns mit gesträubten Nackenhaaren den Rücken zukehrt und die Menge zu beschwichtigen versucht. Aber die dunklen Augen des Hirschs blitzen und er geht langsam in die Knie.
* Jetzt, Kester!* , höre ich ihn. * Jetzt oder nie .*
All die Ermahnungen, Tiere unter keinen Umständen zu berühren, sind schlagartig vergessen, als ich mich auf seinen Rücken schwinge und meine Finger in sein Fell kralle. Es ist überall mit Samenkörnern und getrocknetem Schlamm verklebt, und ich rieche den süßlichen Geruch von heißem Blut, das aus der Wunde an seiner Flanke sickert.
* Festhalten!* , ruft der Hirsch.
Dann holt er tief Luft, springt mit einem einzigen großen Satz über den Grauen Wolf hinweg und landet im Farn auf der anderen Seite. Fast wäre ich von seinem Rücken gerutscht, aber im letzten Moment kann ich mich festhalten. Die Tauben steigen in die Luft.
* Feiglinge!* , piepst eine Stimme aus meiner Jackentasche und zwei orangefarbene Fühler tasten sich hervor.
* Haltet sie!* , brüllt der Graue Wolf. * Jagt sie! *
Alle sieben Wölfe heften sich an unsere Fersen, ihr Heulen ist weithin zu hören. Kaum habe ich mich wieder gefangen, galoppiert der Hirsch auch schon auf und davon. Mit großen Sprüngen setzt er durch den Wald, bei jedem Schritt werde ich in die Luft geschleudert, um dann wieder hart auf seinem Rücken zu landen. Ich zucke jedes Mal zusammen, wenn das ausladende Geweih die Bäume streift, während wir uns den Weg durchs Dickicht bahnen. Er läuft mal in engen Kurven, mal in weiten Bögen und scheint dabei einem unsichtbaren Weg zu folgen, die Nase immer dicht über dem Boden – aber ich sehe nur Farn, rieche nur Furcht.
* Bravo !*, brüllt der General, als wir nur knapp einem umgestürzten Baumstamm ausweichen, der uns zu Fall gebracht hätte. * Die Jagd ist eröffnet! Vorwärts marsch!*
* Kopf runter!* , ruft der Hirsch. * Duck dich, mach dich so flach, wie du kannst .*
Hinter uns höre ich ein lautes Krachen, es ist das Splittern von Holz. Ich drehe mich um und sehe die Wölfe in einer geschlossenen Meute durchs Dickicht brechen. Wir preschen bergauf und gleich darauf wieder bergab. Von links kommt ein Knurren. Der
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