Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)
womöglich ansteckende Fische im Wasser .*
* Aber es gibt keine Fische mehr, weder in diesem See noch sonst wo .*
Sie klingen so traurig, wenn sie das sagen.
Die Weiße Taube stolziert aus der Schar hervor, die Taube mit den rosaroten Klauen. Ihr kleiner Kopf wippt auf und ab. Jetzt, bei Tageslicht, sehe ich, dass die Federn auf ihrem Kopf schief sind; es sieht aus, als wäre sie gerade aus dem Taubenbett aufgestanden.
* Ja *, ruft sie spöttisch. *Keine Fische im Klee, Dummerchen .*
Die anderen gurren und verdecken sie mit ihren Flügeln, als ob sie sich ihretwegen schämten – aber sie hat recht. Ich komme mir dumm vor. Nackt und dumm.
* Statt mich auszulachen, solltet ihr mir endlich einmal sagen, was los ist. Ihr habt mich hierher geschleppt. Warum macht ihr zur Abwechslung nicht mal was Nützliches? Zum Beispiel mich nach Hause bringen! *
Ich habe den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als mir klar wird, dass niemand zuhört. Alle haben sich flatternd in die Luft geschwungen. Man hört ein fernes Flügelrauschen, dann nichts mehr.
* General? *, frage ich. Statt einer Antwort dringt ein lautes Schnarchen unter einem Felsen hervor.
Jetzt, da die Vögel verschwunden sind, merke ich, wie hundemüde ich bin. Ich möchte mich nur noch hinlegen, jeder Platz wäre recht.
Direkt am Ufer liegt ein großer Felsen, dessen Oberfläche fast waagrecht ist; er ist wie geschaffen, um nasse Kleider darauf zu trocknen. Das Sonnenlicht lässt ihn wie ein weißes Leintuch aussehen. Es ist ein Licht, wie ich es aus Mentorium nicht kenne.
Ich habe noch nie im Freien geschlafen. Aber ich sage mir, dass es keine Tiere mehr gibt, also ist alles gut. Ungeziefer ist ungefährlich, weil es das Virus nicht überträgt, außerdem ist es hier beinahe gemütlich. Es ist jedenfalls sehr warm und sehr still.
Die Lider fallen mir langsam zu. Ich bin kurz davor, einzuschlafen, als mich plötzlich etwas aufschreckt. Nervös blicke ich mich um, aber der See ist so ruhig wie zuvor, und es treiben auch keine aufgedunsenen Fische an der Oberfläche. Nur die Tauben sind da. Sie sind zurückgekehrt und sitzen auf den Grasbüscheln um den großen weißen Stein herum und picken am Boden. Bei ihrem Anblick fühle ich mich wieder sicher, aber dann fällt mir ein, dass sie es waren, die mich hierher statt nach Hause gebracht haben.
* Du schnarchst lauter als dein früherer Bewacher, Soldat *, sagt eine schnarrende Stimme auf meinem Schoß.
* Das sagt der Richtige* , hätte ich am liebsten geantwortet, aber ich lasse es. Stattdessen scheuche ich den General mit einer Handbewegung weg. Ich will mich gerade wieder hinlegen, als ein Stein aus dem Wald poltert und ins Wasser fällt.
Kein sehr großer Stein.
Aber groß genug, um von jemandem losgetreten worden zu sein, der sich zwischen den silbernen Bäumen bewegt. Auf den einzelnen Stein folgt eine kleine Lawine von Kieselsteinen, die prasselnd zwischen die Farne rollen.
Jemand ist in diesem Wald – und er kommt auf uns zu.
Kapitel 9
Als sie das Geräusch im Wald hören, schwirren die Tauben hinauf ins Geäst, und der General huscht unter den großen Stein. Ich nehme meine Kleider und lasse mich von dem Stein herabgleiten; geduckt spähe ich hinter dem Felsbrocken hervor.
Der Eindringling bricht durch das Unterholz und bleibt blinzelnd im Sonnenschein stehen. Es ist kein Mensch, es dürfte ihn überhaupt nicht geben, er sollte eigentlich tot sein. Aber er ist da, so nahe, dass ich seine blitzenden Augen und vier lange, unsicher schwankende Beine sehe. Das Fell, die weichen Ohren – es kann nicht sein, aber es ist so.
Ein Tier. Ein Tier, das lebt und atmet.
Groß ist es allerdings nicht. Es scheint nervöser zu sein als wir. Unsicher sieht es sich um, ehe es ans Ufer trottet. Es taumelt ins Wasser und fällt mit einem sanften Platschen auf die Seite. Dann kommt es wieder auf die Beine und geht weiter, bevor es ungefähr hundert Meter von uns entfernt stehen bleibt. Es schnüffelt und spielt mit den Ohren, so als würde es auf etwas warten.
Abgesehen von den Tauben ist es das erste tierische Wesen, das ich zu Gesicht bekomme, das nicht unter Geröll lebt und sich von Abfällen ernährt. Der General kommt unter seinem Felsen hervor und setzt sich obenauf.
* Sieh dir das an, General!* , flüstere ich und deute auf das Tier am See. * Ein kleines Pferd!*
* Nicht ganz, Soldat *, zischt er. * Es ist ein Reh, genauer gesagt eine Ricke .*
Bald folgt ein weiterer Artgenosse dem einsamen,
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