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Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Titel: Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Torday
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meinen Geruch ein. Als er wieder spricht, redet er leise und freundlich.
    * Der alte Hirsch bittet untertänigst um Vergebung, aber ich war es, der dich hierhergerufen hat. Ich habe die Tauben geschickt, damit sie den Kakerlaken helfen .*
    *Ich verstehe nicht – wieso denn? Ich meine, wieso bist du immer noch …*
    Ich kann die Worte nicht aussprechen, es wäre irgendwie unangemessen.
    Der Hirsch richtet sich zu seiner vollen Größe auf. Es ist schwer, in seiner Miene zu lesen, ich kann nicht sagen, ob sie freundlich oder argwöhnisch ist.
    * Wieso ich immer noch am Leben bin? Sieh dich um, Menschenkind. Und sag mir, was du siehst .*
    *Einen See, viele Tiere …* Ich schlucke, ich wage es nicht, ihm in die Augen zu blicken. Die nächsten Worte flüstere ich nur. *Tiere, die eigentlich tot sein müssten .*
    Er macht ein gurgelndes Geräusch, halb Husten, halb glucksendes Lachen, und lässt den Blick über die Ansammlung schweifen.
    * Ja, das müssten sie. Aber wir sind nicht tot. Noch nicht .* Er blickt zu den Bäumen, über die wir geflogen sind; die Sonne blitzt auf seinem Geweih. Seine Art zu reden ist ungewohnt und altmodisch, es ist fast so, als spräche er eine andere Sprache. * Ich bin die Große Wildnis, und diese Tiere sind mein Wild. Die letzte Ansammlung von Tieren, die man noch am Leben gelassen hat. Einst streiften wir auf vielen Fährten über die Insel – bis eure Krankheit kam und so viele von uns vernichtet hat. Die Tiere, die du vor dir siehst, sind die letzten Überlebenden, ein jedes ist auf meinen Ruf hin von seinem Volk gesandt worden, um die Art zu erhalten. Ich habe sie so weit nach Norden geführt, bis das Land endete. Hier fand ich diese versteckte Zufluchtsstätte – einen Ring aus Bäumen, jenseits der Menschen und der Krankheiten. Das ist alles, was uns geblieben ist. Wir sind die Letzten. Das Letzte Wild und ich, ihre Große Wildnis .* Er macht eine Pause und bemerkt meinen Gesichtsausdruck. * Du bist überrascht, dass ich diese Krankheit die eure nenne?*
    Ja, aber das ist jetzt die geringste meiner Sorgen.
    * Ich bin überrascht, dass du mich hierherbringen ließest. Ich dachte, die Vögel würden mich nach Hause fliegen .*
    *Hab keine Angst – niemand erwartet von dir, dass du hierbleibst. Selbst wenn du es wolltest, wir würden es nicht erlauben. Nein, der Grund, weshalb ich dich herbringen ließ, wird bald offenbar werden .* Er blickt zu Boden. * Wir dachten, hier wären wir in Sicherheit, wir dachten, hier hätten wir Schutz gefunden – aber wir haben uns getäuscht .*
    Mich beschleicht ein ungutes Gefühl und ich würde am liebsten weglaufen.
    Der Hirsch stößt ein dumpfes Röhren aus. Es kommt tief aus seiner Brust und ist halb Schmerzensschrei, halb Wutgeheul. Aus der Nähe ist es ohrenbetäubend.
    Auf seinen Ruf hin machen die anderen Tiere unter gegenseitigem Schubsen und Rempeln mehreren Neuankömmlingen Platz. Ein Reh, ein Dachs, eine Ziege und ein zerzauster schwarzer Vogel mit breiten Schwingen treten schwerfällig und mit gesenktem Kopf nach vorne. Sie scheinen sich aus irgendeinem Grund zu schämen. Ich habe sie bisher nicht bemerkt, vermutlich haben sie sich abseitsgehalten und hinter den anderen versteckt. Mit majestätischen Schritten geht der Hirsch auf sie zu und berührt jeden zärtlich mit der Schnauze.
    * Vor zwei Monden wehte ein scharfer Wind und brachte das, was wir am meisten fürchteten* , sagt er zu mir.
    Ich will es nicht wissen. Ich will auch nicht hinschauen.
    * Du musst keine Angst haben. Bitte – komm .*
    Ich halte mir den Ärmel vor Nase und Mund und gehe vorsichtig um den Felsen herum. Näher will ich den Tieren nicht kommen und ich muss es auch nicht. Ich bin zwar nicht mein Vater, ich bin kein Tierarzt, aber sogar ich sehe, dass es den Tieren nicht gut geht. Sie lassen den Kopf nicht vor Scham hängen, sondern weil sie so schwach und erschöpft sind. Das erste Reh, das ich am See gesehen habe, war mir schon etwas mager vorgekommen, aber diesen armen Tieren gehen Federn und Fell büschelweise aus. Die Haut darunter ist gelb und schuppig, die Knochen stehen hervor.
    * Komm näher und schau* , befiehlt der Hirsch mit seiner brüchigen Stimme. * Vom Schauen allein kannst du dich nicht anstecken .*
    Mit angehaltenem Atem und nur sehr zögernd mache ich ein paar Schritte auf sie zu. Alle blicken mich an – das Reh, der Dachs, die Ziege und der zerzauste schwarze Vogel. Als ich ihre Augen sehe, bleibe ich wie angewurzelt stehen.
    Ihre Augen sind

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