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Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Titel: Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Torday
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ohrenzerfetzende Kreischen langsam zu einem Wort verdichtet.
    Ein Wort, das in meinem Kopf hin und her wirbelt.
    * Hör zu .*
    Das tue ich, aber ich höre nichts außer dem Klatsch-Klatsch von Sandalen, die den Gang entlangkommen. Dann gleitet die Tür zur Seite. Die Spinne zieht sich blitzschnell in den Schatten zurück und quetscht sich durch einen haarfeinen Riss in der Wand. Ich fürchte, ich verliere langsam den Verstand. Das könne sehr leicht passieren, haben sie gesagt, wenn ich mit niemandem mehr ein Wort spreche, und auch dass ich mir Dinge zusammenfantasieren würde.
    Eingebildete Freunde zum Beispiel.
    Doktor Fredericks schaltet eine Schirmlampe ein, die mich blendet. Ich drehe mich weg, um dem grellen Licht auszuweichen. Stattdessen richte ich den Blick auf den Boden und versuche, nicht auf Doktor Fredericks’ gelbliche Fußnägel zu starren. Er sagt weder »Hallo« noch »Wie geht es dir?«. Er nennt sich Doktor, aber er ist kein Arzt, bei dem man die Zunge herausstrecken muss und der einem ein kaltes Stethoskop auf die Brust drückt. Zugegeben, er trägt einen weißen Kittel, aber das ist auch schon das einzige typisch Ärztliche an ihm.
    Der Duft von schwarzen Johannisbeeren steigt mir in die Nase. Die Taschen des weißen Kittels sind voller Hustenpastillen mit Johannisbeergeschmack, denn der Doktor lutscht andauernd eines dieser Bonbons. Er dreht den Wasserhahn in der Ecke auf und fängt an, sich die Hände zu schrubben.
    »Name?«, fragt er mit der Lutschtablette im Mund.
    Er weiß, dass ich nicht sprechen kann. Er weiß es ganz genau.
    »Name?«, wiederholt er.
    Ich sehe ihn stumm an. Doktor Fredericks seufzt.
    »Jaynes, Kester. Du, ähm, wurdest dabei beobachtet, wie du dich mit einem, äh, Ungeziefer im Hof beschäftigt hast.«
    Er trocknet die Hände mit einem Papiertuch ab. Ich weiß, was jetzt kommt, aber es ist mir egal. Der Kakerlak hat das Virus nicht. Der Kakerlak ist mein Freund. Er hat versucht, mit mir zu reden.
    Glaube ich jedenfalls.
    »Hast du oder hast du dich nicht mit einem, ähm, verbotenen Insekt beschäftigt, junger Mann?«
    Ich starre stur vor mich hin. Eine raue Hand packt mich im Nacken. Ich versuche, nicht zusammenzuzucken oder sonst wie zu reagieren.
    Der Doktor seufzt und nimmt hinter dem Schreibtisch Platz, er scheint darauf zu warten, dass ich den Mund aufmache. Nach einer halben Ewigkeit stößt er die Luft aus und beginnt, seine Nägel zu reinigen. Die ganze Zeit über schaut er mich nicht an. Als er wieder das Wort an mich richtet, ist seine Stimme sanfter, und er bemüht sich, locker zu klingen.
    »Weißt du, warum du hier bist, Kester? Hast du dich das nie gefragt?«
    Fast muss ich lächeln, aber dann schüttle ich nur den Kopf. Ich werde ihm meine Gefühle nicht zeigen. Je weniger man in diesem Zimmer von sich preisgibt, desto besser. Verärgert macht er eine weit ausholende Handbewegung.
    »Hältst du das alles hier etwa für einen Scherz? Die Quarantäne-Zone, die Glasdächer? Denkst du, Mr Stone« – er dreht sich um und wirft einen Blick auf das Bild seines Chefs an der Wand – »macht das alles Spaß?«
    Mit einem Ruck beugt er sich vor und fixiert mich. Hinter den dicken Brillengläsern sehe ich seine blutunterlaufenen Augen.
    »Ist dir noch nie, äh, in den Sinn gekommen, dass du zu deinem eigenen Besten hier bei uns bist? Dass wir dich, zum Teufel noch mal, vielleicht nur, äh, b-beschützen wollen?«
    Ich zucke nur die Achseln und starre ausdruckslos durch ihn hindurch. Der Doktor lehnt sich in seinem Stuhl zurück und blickt zur Decke.
    »Es gibt so vieles über dieses, äh, Virus, was wir noch nicht wissen. Woher es kommt, wie es sich so verflixt schnell ausbreitet. Nur dass es mutiert, das wissen wir. Ohne ein Vorzeichen oder eine, äh, Warnung. Bei der Übertragung von Tier zu Tier.« Er durchbohrt mich mit seinem Blick. »Und auf den Menschen. Und irgendwann auch auf das Ungeziefer, da sind sich unsere besten Wissenschaftler einig. Es ist nicht die Frage, ob, sondern, w-wann. Kapierst du das, Junge?«
    Ich zucke die Schultern. Ich habe diesen Vortrag schon oft gehört.
    »Nun, dann frage ich dich noch einmal. Was hast du mit dem, äh, Ungeziefer im Hof gemacht? Gibt es etwas, das du mir sagen möchtest?«
    Er wartet.
    Ich versuche zu sprechen, versuche ihm etwas zu sagen – natürlich nicht die Wahrheit, sondern irgendetwas, damit er zufrieden ist.
    Ich versuche es wirklich.
    Aber ich bringe kein Wort hervor.
    Erschöpft sacke ich in den Stuhl

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