Die Günstlinge der Unterwelt - 5
Nachrichten zu übermitteln. Was man in das eine schrieb, mit dem in seinem Rücken aufbewahrten Stift, erschien durch Magie in seinem Gegenstück. So weit sich dies feststellen ließ, tauchte die Nachricht sogar gleichzeitig in seinem Gegenstück auf. Da man den Stift auch dazu benutzen konnte, alte Nachrichten auszuradieren, waren die Bücher niemals vollgeschrieben und konnten immer wieder verwendet werden.
Sie wurden von Schwestern mitgeführt, die auf Reisen gingen, um junge Burschen mit der Gabe aufzuspüren. Meist mußten die Schwestern dafür durch die Barriere reisen, durch das Tal der Verlorenen, um in die Neue Welt zu gelangen, den Jungen zu finden und ihm einen Rada’Han um den Hals zu legen, damit ihm die Gabe keinen Schaden zufügen konnte, während er lernte, die Magie zu beherrschen. Hatten sie die Barriere einmal hinter sich gelassen, gab es kein Zurück mehr, um sich Anweisungen oder Ratschläge zu holen. Eine einzige Reise hin und wieder zurück – mehr war keiner Schwester möglich. Bis jetzt – Richard hatte die Türme und ihre Unwetter aus Bannen zerstört.
Ein junger Bursche, der kein Verständnis für die Gabe hatte, konnte diese unmöglich beherrschen. Seine Magie sandte verräterische Zeichen aus, die von jenen Schwestern im Palast, die für derartige Störungen im Fluß der Kraft empfänglich waren, wahrgenommen wurden. Es gab nicht genug Schwestern, die diese Fähigkeit besaßen, als daß man hätte riskieren können, sie auf Reisen zu schicken, daher entsandte man andere, und diese führten ein Reisebuch mit sich, um mit dem Palast in Verbindung bleiben zu können. Wenn Schwestern einen Jungen verfolgen sollten, und es kam etwas dazwischen – zum Beispiel, er zog um – dann benötigten sie die Anweisungen, um ihn an seinem neuen Aufenthaltsort zu finden.
Natürlich konnte auch ein Zauberer dem Jungen beibringen, wie man die Gabe beherrschte, um so ihren zahlreichen Gefahren aus dem Weg zu gehen, und tatsächlich war dies die bevorzugte Methode. Doch Zauberer standen weder stets zur Verfügung noch waren sie immer dazu bereit. Die Schwestern hatten vor langer Zeit eine Übereinkunft mit den Zauberern in der Neuen Welt getroffen. War kein Zauberer zur Stelle, war es den Schwestern des Lichts gestattet, das Leben eines jungen Burschen zu retten, indem sie ihn für seine Ausbildung im Gebrauch der Gabe zum Palast der Propheten brachten. Die Schwestern hatten ihrerseits gelobt, niemals einen jungen Burschen mitzunehmen, zu dessen Ausbildung sich ein Zauberer bereiterklärt hatte.
Diese Übereinkunft wurde dadurch untermauert, indem man, für den Fall, daß dieses Abkommen gebrochen wurde, jeder Schwester, die jemals wieder die Neue Welt betrat, mit der Todesstrafe drohte. Prälatin Annalina hatte diese Übereinkunft gebrochen, um Richard in den Palast zu holen. Verna war unwissentlich zum Werkzeug dieses Bruchs geworden.
Zu jedem beliebigen Zeitpunkt konnten mehrere Schwestern auf Reisen sein, um einen Jungen aufzuspüren. Verna hatte in ihrem Arbeitszimmer eine ganze Kiste mit Reisebüchern gefunden, die jeweils zu zusammengehörenden Paaren zusammengebunden waren. Die Reisebücher wurden verdoppelt, und jedes funktionierte nur mit seinem korrekten Gegenstück. Vor jeder Reise wurden Vorsichtsmaßnahmen getroffen: Man brachte die beiden Bücher an zwei verschiedene Orte und probierte sie aus, nur um sicherzugehen, daß keine Schwester mit dem falschen Buch losgeschickt wurde. Reisen war gefährlich, deshalb trugen die Schwestern zusätzlich einen Dacra in ihrem Ärmel.
Normalerweise dauerte eine Reise einige wenige Monate, und manchmal, wenn auch selten, dauerten sie bis zu einem Jahr. Vernas Reise hatte über zwanzig Jahre gedauert. Nie zuvor war etwas Vergleichbares vorgekommen, andererseits war es auch über dreitausend Jahre her, daß jemand wie Richard geboren worden war. Verna hatte zwanzig Jahre verloren, die sie nie würde wiederaufholen können. Sie war draußen in der Welt gealtert. Diese gut zwanzig Jahre des Alterns, die ihr Körper durchgemacht hatte, hätten im Palast der Propheten an die dreihundert Jahre gedauert. Sie hatte für Prälatin Annalinas Auftrag nicht nur einfach zwanzig Jahre geopfert, sondern in Wirklichkeit an die dreihundert Jahre.
Schlimmer noch, Annalina hatte die ganze Zeit gewußt, wo Richard sich befand. Auch wenn sie es getan hatte, damit sich die richtigen Prophezeiungen erfüllten und der Hüter aufgehalten werden konnte, es schmerzte
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