Die Günstlinge der Unterwelt - 5
alle seine Kinder.«
Verna fühlte sich mehr als nur ein wenig unbehaglich, das Ziel der Verehrung zu sein, trotzdem lächelte sie, als die Gruppe weiterging, den steinernen Flur entlang.
Nachdem sie um die Ecke gebogen waren, legte Verna ihre Hand auf die kalte, in die Wand eingelassene Metallplatte, jene Platte, die den Schlüssel zu dem Schild bildete, der die Gewölbekeller abschirmte. Der Boden bebte unter ihren Füßen, als sich die riesige, runde Tür in Bewegung setzte. Es geschah selten, daß die Haupttür geschlossen wurde. Von besonderen Umständen abgesehen, war die Prälatin die einzige, die den Eingang je versiegelte. Sie trat in das Gewölbe, als sich die Tür hinter ihr mit einem Knirschen schloß und sie in einer grabesähnlichen Stille zurückließ.
Verna ging an den alten, abgenutzten, mit Papieren und einigen der einfacheren Bücher mit Prophezeiungen übersäten Tischen vorbei. Die Schwestern hatten gerade unterrichtet. Die Lampen an den Wänden aus behauenem Stein taten wenig, um das Gefühl endloser Nacht zu mildern. Lange Reihen von Bücherregalen erstreckten sich zu beiden Seiten zwischen massigen Säulen, die die Gewölbedecke stützten.
Warren befand sich in einem der hinteren Räume. Die kleinen, ausgehöhlten Nischen unterlagen der Geheimhaltung und hatten daher gesonderte Türen und Schilde. Der Raum, in dem er sich befand, gehörte zu denen mit den ältesten, noch in Hoch-D’Haran geschriebenen Prophezeiungen. Nur wenige Menschen, darunter Warren und Vernas Vorgängerin, beherrschten Hoch-D’Haran.
Als sie in den Schein der Lampe trat, hob Warren, der lässig vor dem Tisch hockte und die verschränkten Arme darauf gelegt hatte, kurz den Kopf. »Phoebe meinte, Ihr wolltet die Gewölbe aufsuchen«, meinte er besorgt.
»Ich muß mit dir reden, Warren. Es ist etwas passiert.«
Er schlug eine Seite in dem Buch vor sich um, sah aber nicht auf. »Ja, also schön.«
Sie runzelte die Stirn, dann zog sie neben ihm einen Stuhl an den Tisch, setzte sich jedoch nicht. Mit einem Ruck ihres Handgelenks ließ Verna den Dacra in ihre linke Hand schnellen. Der Dacra, der anstelle der Klinge einen silbernen Stab besaß, wurde wie ein Messer benutzt, doch es war nicht die durch ihn hervorgerufene Wunde, die tötete. Der Dacra war eine Waffe, die uralte Magie besaß. Wurde sie in Verbindung mit dem Han ihres Trägers benutzt, beraubte sie, unabhängig von der Art der Wunde, das Opfer seiner Lebenskraft. Gegen seine Magie gab es kein Heilmittel.
Warren sah aus müden, roten Augen auf, als sie sich näher zu ihm beugte. »Warren, ich möchte, daß du dies an dich nimmst.«
»Das ist die Waffe der Schwestern.«
»Du besitzt die Gabe, dir wird er ebenso gute Dienste leisten wie mir.«
»Was soll ich damit tun?«
»Dich schützen.«
Er runzelte die Stirn. »Wie meint Ihr das?«
»Die Schwestern der…« Sie warf einen Blick nach hinten in den Hauptsaal. Selbst wenn er leer war, ließ sich unmöglich sagen, wie weit jemand mit Subtraktiver Magie hören konnte. Sie hatten sogar mitbekommen, wie Prälatin Annalina sie beim Namen genannt hatte. »Du weißt schon.« Sie senkte die Stimme. »Warren, du besitzt zwar die Gabe, nur wird sie dich nicht vor ihnen schützen. Aber das hier. Dagegen gibt es keinen Schutz. Keinen.« Sie ließ die Waffe mit geübter Eleganz in der Hand kreisen und dabei über die Fingerrücken wandern. Die mattsilberne Farbe war ein verwischter Fleck im Schein der Lampe. Sie fing ihn an der stabähnlichen Klinge auf und hielt ihm den Griff hin. »Ich habe oben weitere Dacras gefunden. Ich möchte, daß du einen bei dir trägst.«
Er machte eine unsichere Handbewegung. »Ich weiß nicht, wie man mit diesem Ding umgeht. Ich weiß nur, wie man in den alten Büchern liest.«
Verna packte ihn am Kragen seines violetten Gewandes und zog sein Gesicht heran. »Du stichst ihn ihnen einfach in den Leib. Bauch, Brust, Hals, Arm, Hand, Fuß – völlig egal. Stech ihnen den Dacra einfach in den Körper, während du in dein Han gehüllt bist, und sie sind tot, bevor du mit der Wimper zucken kannst.«
»Meine Ärmel sind nicht so eng wie Eure. Er wird nur herausfallen.«
»Warren, der Dacra weiß nicht, wo du ihn aufbewahrst, und es kümmert ihn auch nicht. Schwestern üben stundenlang und tragen ihn im Ärmel, damit sie ihn griffbereit haben. Wir machen das zu unserem Schutz, wenn wir auf Reisen gehen. Es ist egal, wo du ihn trägst, nur tragen mußt du ihn. Bewahr ihn in einer Tasche
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