Die Günstlinge der Unterwelt - 5
während sie die Finger ineinander verschlang. »Nun, ich will Euch nicht kränken, wo Ihr jetzt in einer so hohen Stellung seid, aber ich könnte niemals jemand anderes fragen als eine Freundin wie Euch.« Sie räusperte sich. »Wie ist es, wenn man alt wird?«
Verna schnaubte verächtlich. »Wir sind im gleichen Alter, Phoebe.« Sie wischte mit den Handflächen an ihren Hüften herum, während Verna wartete. »Nun ja … aber Ihr wart mehr als zwanzig Jahre fort. Um so viel seid Ihr gealtert, genau wie die Menschen außerhalb des Palastes. Ich werde annähernd dreihundert Jahre brauchen, um Euer jetziges Alter zu erreichen. Ihr seht aus wie eine Frau von fast … vierzig Jahren.«
Verna seufzte. »Ja, nun, das sind die Folgen einer Reise. Meiner Reise jedenfalls.«
»Ich will niemals auf eine Reise gehen und alt werden. Tut es am Ende weh, plötzlich so alt zu sein? Habt Ihr das Gefühl … ich weiß nicht, als wärt Ihr nicht mehr attraktiv, und das Leben nicht mehr süß? Ich mag es, wenn Männer mich begehrenswert finden. Ich will nicht alt werden … Das macht mir angst.«
Verna stieß sich vom Tisch ab und lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Am allerliebsten hätte sie die Frau erwürgt, statt dessen atmete sie tief durch und rief sich ins Gedächtnis, daß es sich um die ernstgemeinte Frage einer Freundin handelte, die diese aus Unwissenheit gestellt hatte.
»Nun, das betrachtet wohl jeder auf seine ganz eigene Weise, aber ich kann dir verraten, was es für mich bedeutet. Ja, es schmerzt ein wenig, Phoebe, wenn man weiß, daß etwas dahin ist und niemals mehr zurückgewonnen werden kann – ganz so, als hätte ich nicht aufgepaßt und mir wäre meine Jugend gestohlen worden, während ich noch darauf warte, daß mein Leben beginnt. Aber der Schöpfer wiegt es auch mit etwas Gutem auf.«
»Mit etwas Gutem? Was kann schon Gutes daran sein?«
»Nun, im Innern bin ich immer noch ich selbst, nur weiser. Ich sehe mich und meine Ziele klarer. Ich weiß Dinge zu schätzen, die ich zuvor nie zu schätzen gewußt habe. Ich weiß genauer, was wichtig ist, wenn man das Werk des Schöpfers tut. Vermutlich könnte man sagen, ich bin zufriedener und mache mir weniger Gedanken, was andere über mich denken.
Zwar bin ich gealtert, doch das mindert mein Verlangen nach anderen keineswegs. Ich finde Trost bei Freunden, und, ja, um deine unausgesprochene Frage zu beantworten, ich sehne mich noch immer nach Männern, fast genau wie früher, nur bin ich jetzt viel aufgeschlossener für sie. Die Unerfahrenheit der Jugend interessiert mich weniger. Es reicht nicht, daß Männer jung sind, um meine Gefühle zu entfachen, und Naivität wirkt weniger anziehend.«
Mit großen Augen beugte Phoebe sich gespannt vor. »Wirklich? Ältere Männer erwecken bei Euch Gefühle des Verlangens?«
Verna hielt ihre Zunge im Zaum. »Mit ›älter‹, Phoebe, meine ich Männer, die älter sind als ich. Die Männer, die zur Zeit dein Interesse erregen – vor fünfzig Jahren wärst du nicht auf die Idee gekommen, mit einem Mann in deinem heutigen Alter auszugehen.
Doch jetzt kommt dir das ganz natürlich vor, weil du selbst in diesem Alter bist und dir die Männer in deinem Alter von damals unreif erscheinen. Verstehst du jetzt, was ich meine?«
»Na ja … ich denke schon.«
Verna sah ihren Augen an, daß das nicht stimmte. »Als wir als junge Mädchen hierherkamen, so wie die beiden im Gewölbekeller gestern abend, die Novizinnen Helen und Valery, was hast du da von Frauen gedacht, die so alt waren wie du heute?«
Phoebe verbarg das Kichern hinter ihrer Hand. »Ich fand sie unglaublich alt. Ich hätte nie gedacht, selber mal so alt zu werden.«
»Und jetzt, wie erscheint dir dein Alter jetzt?«
»Ach, ich fühle mich überhaupt nicht alt. In diesen jungen Jahren war ich wahrscheinlich einfach dumm. Es gefällt mir, so alt zu sein, wie ich jetzt bin. Ich bin noch jung.«
Verna zuckte die Achseln. »Bei mir verhält es sich ganz ähnlich. Ich betrachte mich auch noch als jung. Doch kommen mir alte Menschen nicht mehr so alt vor, denn ich weiß jetzt, daß sie genauso sind wie du oder ich – sie sehen sich selbst genauso, wie du oder ich uns sehen.«
Die junge Frau rümpfte die Nase. »Ich glaube, ich weiß, was Ihr meint, aber alt will ich trotzdem nicht werden.«
»Phoebe, in der Welt draußen hättest du mittlerweile fast drei Leben gelebt. Dir – uns – ist durch den Schöpfer ein großes Geschenk zuteil geworden, da uns durch
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