Die Günstlinge der Unterwelt - 5
mit«, meinte der zweite. »Vielleicht ist es etwas wert, wenn noch nichts drinsteht.«
Sie sah wieder den jungen Mann an, der sie mit dem Schwert bedrohte. »Jetzt reicht es mir allmählich. Betrachtet den Überfall als beendet.«
»Der ist vorbei, wenn ich sage, daß er vorbei ist.«
»Gib es zurück«, sagte Ann in gleichgültigem Ton und streckte die Hand aus. »Und dann verschwindet, bevor ich euch an den Ohren in den Ort schleife und eure Eltern kommen lasse, damit sie euch abholen.«
Er sprang einen Schritt zurück und fuchtelte mit dem Schwert herum. »Hör zu, werd nicht frech, sonst bekommst du meinen Stahl zu spüren. Ich weiß, wie man mit diesem Ding umgeht!«
Plötzlich war die stille Abendluft erfüllt vom Schlag donnernder Hufe. Sie hatte beobachtet, wie sich die Soldaten hinter der Kurve auf der anderen Seite der kleinen Brücke und wegen des rauschenden Wassers von den beiden jungen Männern unbemerkt – angeschlichen hatten, bis sie schließlich im letzten Augenblick losgaloppierten. Als sich ihr Angreifer erschrocken umdrehte, riß Ann ihm das Schwert aus der Hand. Nathan entriß dem anderen sein Messer.
Berittene d’Haranische Soldaten ragten plötzlich turmhoch über ihnen auf. »Was ist hier los?« fragte der Sergeant mit einer ruhigen, tiefen Stimme.
Die beiden jungen Männer waren starr vor Schreck. »Nun«, meinte Ann, »wir haben diese beiden hier zufällig getroffen, und sie haben uns erzählt, daß wir uns vor Banditen in acht nehmen sollen. Sie stammen hier aus der Gegend. Sie wollten uns gerade zeigen, wie wir uns schützen können, und haben uns ihre Schwertkünste vorgeführt.«
Der Sergeant faltete die Hände über dem Sattelknauf. »Stimmt das, Junge?«
»Ich … wir…« Er sah sie flehend an. »Stimmt. Wir wohnen ganz in der Nähe und haben diesen beiden Reisenden gesagt, sie sollen vorsichtig sein. Wir haben nämlich gehört, daß es Banditen in der Gegend gibt.«
»Und das war eine beachtliche Vorführung der Schwertkampfkunst. Wie versprochen, junger Mann, bekommst du einen Keks für die Demonstration. Reich mir den Beutel mit den Keksen, dort drüben.«
Er bückte sich, hob den schweren Beutel mit dem Gold auf und gab ihn ihr. Ann nahm zwei Münzen heraus und drückte jedem der jungen Männer eine in die Hand.
»Wie versprochen, einen Keks für jeden. Und jetzt macht ihr euch besser nach Hause auf, Jungs, sonst sorgen sich eure Eltern. Gebt ihnen meinen Keks als Dank dafür, daß sie euch hergeschickt haben, um uns zu warnen.«
Er nickte sprachlos. »Also gut. Gute Nacht. Paßt auf euch auf.«
Ann streckte die Hand aus. Sie fixierte den jungen Mann mit einem gefährlichen Seitenblick. »Wenn du dir mein Reisebuch lange genug angesehen hast, hätte ich es jetzt gerne zurück.«
Als er ihren Blick bemerkte, riß er die Augen auf. Dann drückte er ihr das Reisebuch in die Hand, als würde es ihm die Finger verbrennen. Was es auch tat.
Ann lächelte. »Danke, mein Sohn.«
Er wischte sich die Hand an seiner zerlumpten Jacke ab. »Also dann, auf Wiedersehen. Und seid vorsichtig.«
Er machte kehrt und wollte gehen. »Vergiß das nicht.« Er drehte sich vorsichtig wieder um. »Dein Vater wäre fürchterlich böse, wenn du sein Schwert vergessen würdest.«
Er hob es vorsichtig auf. Nathan, der nicht bereit war, ganz auf ein wenig Theatralik zu verzichten, ließ das Messer um seine Finger kreisend über seinen Handrücken wandern. Er schleuderte das Messer in die Luft, fing es hinter seinem Rücken wieder auf, dann wirbelte es unter seinem Arm hindurch in seine andere Hand. Ann verdrehte die Augen, als er gegen die Klinge schlug und die Drehrichtung wechselte. Er fing das Messer an der Klinge auf und reichte es, mit dem Griff voran, dem anderen jungen Mann.
»Wo hast du denn das gelernt, alter Mann?« wollte der Sergeant wissen.
Nathan zog ein finsteres Gesicht. Wenn es irgend etwas gab, was Nathan nicht mochte, dann war dies, ›alter Mann‹ genannt zu werden. Er war ein Zauberer, ein Prophet von beispiellosen Fähigkeiten, und fand, man müsse ihm Bewunderung, wenn nicht gar großen Respekt zollen. Ann hielt seine Gabe mit Hilfe des Rada’Han im Zaum, sonst hätte der Sattel des Sergeanten mittlerweile zweifellos in Flammen gestanden. Sie hinderte ihn auch daran, etwas zu sagen. Nathans Zunge war mindestens ebenso gefährlich wie seine Kraft.
»Mein Bruder ist leider taubstumm.« Sie scheuchte die beiden Banditen mit einer Handbewegung fort. Sie winkten und
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