Die Günstlinge der Unterwelt - 5
gedacht habe.
Eure Stärke erfüllt mich mit Demut, mein törichter Stolz mit Scham. Bitte gebt acht, daß Ihr nicht getötet werdet. Ich bin nicht würdig, Prälatin zu sein. Ich bin ein Ochse, von dem Ihr verlangt, er solle durch die Lüfte kreisen wie ein Vogel.
Verna saß da, beobachtete das Buch und harrte der Antwort, falls die Prälatin tatsächlich wartete.
Danke, mein Kind. Du hast mir das Herz leichter gemacht. Frage, was du wissen mußt, und wenn ich kann, werde ich es dir beantworten. Ich werde die ganze Nacht hier sitzen, wenn ich dir bei deiner Bürde helfen kann.
Zum ersten Mal seit Tagen lächelte Verna. Diesmal waren ihre Tränen süß und nicht bitter.
Prälatin, seid Ihr auch wirklich in Sicherheit? Ist alles in Ordnung bei Euch und Nathan?
Verna, vielleicht freut es dich, wenn deine Freunde dich Prälatin nennen, mich jedoch nicht. Bitte nenne mich bei meinem Namen, wie es alle meine wirklichen Freunde tun.
Verna mußte laut lachen. Auch sie verdroß es, daß die Menschen darauf bestanden, sie ›Prälatin‹ zu nennen. Weitere Worte erschienen. Anns Nachricht ging weiter.
Und weiter: Ja, es geht mir gut, wie auch Nathan, der zur Zeit beschäftigt ist. Heute hat er sich ein Schwert gekauft und ficht jetzt in unserem Zimmer gegen die Luft. Er findet, daß er mit einem Schwert ›fesch‹ aussieht. Er ist ein tausend Jahre altes Kind, und wie ein Kind strahlt er in diesem Augenblick auch, während er unsichtbaren Feinden den Kopf abschlägt.
Verna las die Nachricht noch einmal, nur um sicher zu sein, daß sie richtig gelesen hatte. Nathan mit einem Schwert? Der Mann war doch gefährlicher, als sie geglaubt hatte. Die Prälatin hatte sicher alle Hände voll zu tun.
Ann, Ihr sagtet, ich müsse herausfinden, wer sich dem Hüter verschrieben hat. Ich habe keine Ahnung, wie mir das gelingen soll. Könnt Ihr mir helfen?
Wenn ich wüßte, wie man es macht, Verna, würde ich es dir sa gen. Einige wenige haben meinen Verdacht erregt, die meisten aber nicht. Ich habe nie einen Weg finden können, zu unterscheiden, wer des Hüters war und wer nicht. Es gibt andere Dinge, um die ich mich kümmern muß, deshalb überlasse ich diese Angelegenheit dir. Denk immer daran, daß sie genauso verschlagen sein können wie der Hüter selbst. Einige, bei denen ich wegen ihrer unliebenswürdigen Art sicher war, daß sie gegen uns waren, standen loyal zu uns. Anderen, die sich offenbart haben und mit dem Schiff geflohen sind, hätte ich mein Lehen anvertraut. Glücklicherweise habe ich es nicht getan, sonst wäre ich jetzt tot.
Ann, ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll! Was, wenn ich versage?
Du darfst nicht versagen.
Verna wischte ihre schweißnassen Handflächen am Kleid ab.
Aber selbst wenn ich einen Weg finde, sie zu entlarven, was fange ich dann mit diesem Wissen an? Ich kann die Schwestern nicht bekämpfen, nicht bei der Kraft, über die sie verfügen.
Sobald du den ersten Teil vollbracht hast, Verna, werde ich es dir sagen. Du mußt wissen, daß die Prophezeiungen für Fälschungen anfällig sind. Und auch bei Gefahr. Genau wie Nathan und ich sie benutzen, um mit ihrer Hilfe die Geschehnisse zu beeinflussen, damit sie die rechte Gabelung einschlagen, können auch unsere Feinde sie benutzen.
Verna stieß einen verzweifelten Seufzer aus.
Wie kann ich unsere Feinde identifizieren, wenn ich schon als Prälatin so viel zu tun habe? Ich tue nichts anderes, als Berichte zu lesen, und doch gerate ich immer weiter ins Hintertreffen. Alle verlassen sich auf mich und arbeiten mir zu. Wie habt Ihr nur die Zeit gefunden, irgend etwas zu schaffen – hei all den Berichten?
Du liest die Berichte? Du meine Güte, Verna, bist du ehrgeizig. Als Prälatin bist du sicherlich gewissenhafter als ich.
Verna klappte die Kinnlade herunter.
Soll das heißen, ich brauche die Berichte nicht zu lesen?
Nun, Verna, sieh doch, welchen Wert es hat, sie zu lesen. Weil du die Berichte liest, hast du herausgefunden, daß die Pferde in den Ställen fehlen. Wir hätten uns ohne weiteres nach Verlassen des Palastes Pferde kaufen können, statt dessen jedoch haben wir diese genommen, um eine Spur zu hinterlassen. Wir hätten für die Leichen bezahlen können, anstatt komplizierte Vorkehrungen zu treffen, aber dann hättest du nicht mit dem Totengräber gesprochen. Wir waren bemüht, Spuren zu hinterlassen, denen du nachgehen konntest, um die Wahrheit zu entdecken. Einige der Spuren, die wir hinterlassen haben, waren recht
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