Die Günstlinge der Unterwelt - 5
allein erreichen zu können?«
Er war es leid, überrascht zu werden und nicht zu wissen, was ihn als nächstes erwartete. Er war es leid, als Gefangener gehalten, gefoltert, ausgebildet, angelogen zu werden. Mit ansehen zu müssen, wie hilflose Menschen dahingemetzelt wurden. Er mußte etwas tun.
Er war zwar kein guter Zauberer, aber er kannte einen. Zedd war nur wenige Wochen in Richtung Südwesten entfernt. Zedd würde verstehen, daß Aydindril von der Imperialen Ordnung befreit und die Burg der Zauberer beschützt werden mußte. Wenn die Imperiale Ordnung diese Magie zerstörte, ginge sie dann nicht – womöglich für alle Zeiten – verloren?
Wenn es sein mußte, gab es noch andere – im Palast der Propheten in der Alten Welt –, die vielleicht bereit und in der Lage waren zu helfen. Warren war sein Freund, und obwohl seine Ausbildung noch nicht abgeschlossen war, war er ein Zauberer und kannte sich mit Magie aus. Jedenfalls besser als Richard.
Auch Schwester Verna würde ihm helfen. Die Schwestern waren ebenfalls Magierinnen und besaßen die Gabe, auch wenn sie nicht so mächtig waren wie ein Zauberer. Allerdings traute er außer Schwester Verna keiner von ihnen. Nun, vielleicht auch Prälatin Annalina. Es gefiel ihm nicht, daß sie ihm Informationen vorenthielt und die Wahrheit nach Bedarf zurechtbog, doch das machte sie nicht aus Böswilligkeit – was sie getan hatte, war allein aus Sorge um die Lebenden geschehen. Ja, Ann würde ihm vielleicht helfen.
Und dann war da noch Nathan, der Prophet. Nathan, der den größten Teil seines Lebens unter dem Bann des Palastes gelebt hatte, war an die tausend Jahre alt. Was dieser Mann wußte, überstieg Richards Fassungsvermögen. Er hatte gewußt, daß Richard ein Kriegszauberer war, der erste, der seit Tausenden von Jahren geboren worden war, und er hatte ihm geholfen, die Bedeutung dessen zu verstehen und zu akzeptieren. Nathan hatte ihm schon einmal geholfen, und Richard war ziemlich sicher, er würde ihm noch einmal helfen. Nathan war ein Rahl, Richards Vorfahr.
Verzweifelte Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf. »Der Aggressor stellt die Regeln auf. Ich muß sie irgendwie verändern.«
»Was werdet Ihr tun?«
Richard blickte voller Zorn zur Stadt hinüber. »Ich muß etwas tun, was sie nicht erwarten.« Er fuhr mit seinen Fingern über den erhabenen Golddraht, der das Wort WAHRHEIT auf dem Heft seines Schwertes bildete, und zur selben Zeit spürte er dessen wutschäumende Magie. »Ich trage das Schwert der Wahrheit, das mir von einem echten Zauberer verliehen wurde. Ich habe eine Pflicht. Ich bin der Sucher.« Im Taumel des gärenden Zornes, der hochkam, sobald er an die von den Mriswiths ermordeten Menschen dachte, sagte er leise zu sich selbst: »Ich schwöre, ich werde diesem Traumwandler Alpträume bereiten.«
4. Kapitel
»Meine Arme kribbeln wie Ameisen«, beklagte sich Lunetta. »Hier ist sie mächtig.«
Tobias Brogan warf einen flüchtigen Blick über die Schulter. Fetzen und Flicken zerrissenen, ausgebleichten Stoffes flatterten im schwachen Licht, als Lunetta sich kratzte. Inmitten der Reihen schmucker Soldaten in ihren blinkenden Rüstungen und den mit karminroten Capes drapierten Kettenhemden wirkte sie, wie sie gedrungen und gebeugt auf dem Pferd saß, als schaute sie unter einem Haufen Lumpen hervor. Ihre feisten Wangen bekamen Grübchen, während sie zahnlos feixend in sich hineinkicherte.
Brogan verzog angewidert den Mund, wandte sich ab und bändigte seinen drahtigen Schnäuzer, derweil sein Blick noch einmal über die Burg der Zauberer an der Bergflanke wanderte. Die dunkelgrauen Steinmauern fingen die ersten schwachen Strahlen der Wintersonne ein, die den Schnee auf den höhergelegenen Hängen rötlich färbte. Sein Mund zog sich noch fester zusammen.
»Magie, ich sag’ es Euch, mein Lord General«, beharrte Lunetta. »Hier gibt es Magie. Mächtige Magie.« Sie plapperte weiter, beschwerte sich murrend darüber. Wie kalt es sie deswegen überlief.
»Sei still, alte Hexe. Nicht einmal ein Narr wäre auf dein unheimliches Talent angewiesen, um zu bemerken, daß Aydindril über und über mit dem Makel der Magie behaftet ist.«
Ihre wilden Augen funkelten gefährlich unter den fleischigen Brauen hervor. »Dies ist anders als alles, was Ihr bisher gesehen habt«, sagte sie mit einer Stimme, die zu dünn war für ihre übrige Gestalt. »Anders als alles, was ich je zuvor gespürt habe. Und im Südwesten ist sie auch nicht, bloß
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