Die Günstlinge der Unterwelt - 5
Boden landete. Niemand schlug Alarm. Es gab nur ein Wesen, das ihre Verteidigungslinie durchbrechen konnte, ohne Alarm auszulösen. Plötzlich bekam sie am ganzen Körper eine Gänsehaut, und diesmal war es nicht der Bann.
Kahlan riß ihr Messer heraus.
34. Kapitel
Sie sah leuchtend grüne Augen. Im schwachen Schein des kleinen Wintermondes und der Sterne kam eine mächtige Gestalt auf sie zu. Sie wollte aufschreien, aber ihr versagte die Stimme.
Als die riesige Bestie die Lippen zurückzog, wurde das gesamte Ausmaß ihrer gewaltigen Zähne sichtbar. Kahlan taumelte einen Schritt nach hinten. Sie hielt den Griff ihres Messers so fest in der Hand, daß ihr die Finger schmerzten. Wenn sie schnell war und nicht in Panik geriet, hatte sie vielleicht eine Chance. Wenn sie schrie, würde Zedd sie dann hören? Würde überhaupt jemand sie hören? Selbst wenn, waren die anderen zu weit weg. Sie würden es nicht rechtzeitig bis zu ihr schaffen.
An seiner Größe erkannte sie im schwachen Licht, daß es sich um einen kurzschwänzigen Gar handelte. Ausgerechnet ein kurzschwänziger Gar. Das waren die größten, die tödlichsten. Gütige Seelen, warum konnte es kein langschwänziger Gar sein?
Starren Blicks verfolgte Kahlan, wie er etwas von seiner Brust nahm. Wieso stand er einfach bloß da? Wo waren seine Blutmücken? Er senkte den Kopf, sah zu ihr hoch, senkte erneut den Kopf. Die Augen leuchteten bedrohlich grün. Er zog die Lippen noch weiter zurück. Sein Atem bildete Wolken in der Luft, als er einen gurgelnden Laut ausstieß.
Kahlans Augen weiteten sich. War es möglich? »Gratch?«
Plötzlich begann der Gar, aufgeregt zu heulen, auf und ab zu hüpfen und mit den Flügeln zu schlagen.
Kahlan sackte erleichtert seufzend in sich zusammen. Sie steckte ihr Messer zurück und trat näher an das hoch aufragende Tier heran, war aber immer noch auf der Hut.
»Gratch? Bist du das, Gratch?«
Der Gar nickte heftig mit dem riesigen, ungestalten Kopf. »Grrrratch!« Er stieß ein tiefes Grollen aus, das ihr Brustbein erzittern ließ. Mit beiden Klauen trommelte er sich auf die Brust. »Grrratch!«
»Gratch, hat Richard dich geschickt?«
Als er Richards Namen hörte, schlug der Gar noch nachdrücklicher mit den Flügeln.
Sie kam näher. »Hat Richard dich geschickt?«
»Grrratch haaach Raaaach arrrg lieeeeg.«
Kahlan war fassungslos. Richard hatte ihr erzählt, daß der Gar zu sprechen versuchte. Plötzlich mußte sie lachen. »Kahlan hat Richard auch lieb.« Sie tippte sich auf die Brust. »Ich bin Kahlan, Gratch. Ich freue mich sehr, dich kennenzulernen.«
Ihr stockte der Atem, als der Gar ausholte, sie in seine pelzigen Arme nahm und ihre Füße glatt vom Boden hob. Ihr erster Gedanke war, er werde sie bestimmt zerquetschen. Doch überraschend behutsam drückte er sie an seine weiche Brust. Kahlan schlang die Arme um den gewaltigen Körper und berührte die Hüften des Gar. Sie konnte ihn nicht einmal zur Hälfte umfassen.
Kahlan hätte sich niemals vorstellen können, etwas Derartiges zu tun, jetzt aber war sie fast zu Tränen gerührt, denn Gratch war Richards Freund, und Richard hatte den Gar zu ihr geschickt. Fast war es, als hätte Richard selbst sie in den Arm genommen.
Der Gar setzte sie vorsichtig auf dem Boden ab. Er betrachtete sie aus seinen leuchtend grünen Augen. Sie strich über das Fell seitlich seiner Brust, während das schwerfällige Tier nach unten langte und ihr zärtlich mit einer riesigen, tödlichen Kralle über das Haar fuhr.
Kahlan sah lächelnd hinauf in das faltige Gesicht voller Reißzähne. Gratch stieß ein perlendes Gurgeln aus. Seine Flügel bewegten sich mit langsamem, zufriedenem Schwung, während sie sein Fell streichelte und er ihr Haar.
»Hier bei uns bist du sicher, Gratch. Richard hat mir alles über dich erzählt. Ich weiß nicht, wieviel du verstehst, aber du bist unter Freunden.«
Als er die Lippen zurückzog und erneut das ganze Ausmaß seiner Reißzähne zeigte, wurde ihr plötzlich bewußt, daß dies ein Lächeln war. Es war das häßlichste Lächeln, das sie je gesehen hatte, aber es hatte etwas Unschuldiges an sich, das sie gleichzeitig schmunzeln ließ. Nie im Leben hätte sie geglaubt, daß Gars lächeln konnten. Es war wirklich ein Wunder.
»Hat Richard dich geschickt, Gratch?«
»Raaaaach aaaarg.« Gratch trommelte sich auf die Brust. Er schlug so heftig mit den Flügeln, daß seine Füße kurz vom Boden abhoben. Dann langte er nach vorn und tippte Kahlan
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