Die Günstlinge der Unterwelt - 5
und ergriff eine von seinen Krallen mit beiden Händen. Dann blickte sie in seine leuchtend grünen Augen.
»Gratch, hat Richard dich vorgeschickt, um uns zu sagen, daß er bald hier sein wird?« Gratch schüttelte den Kopf. Kahlan mußte schlucken. »Aber er ist auf dem Weg hierher? Er hat Aydindril verlassen und hat sich auf den Weg gemacht, um uns einzuholen?«
Gratch musterte ihr Gesicht. Er hob seine Pranke und streichelte ihr übers Haar. Kahlan sah, daß er eine Locke ihres Haares an einem Lederband um den Hals trug, zusammen mit dem Drachenzahn. Langsam schüttelte er ein weiteres Mal den Kopf.
Kahlans Mut sank wie ein Stein in einem Brunnen. »Er ist nicht auf dem Weg hierher? Aber er hat dich zu mir geschickt?«
Gratch nickte und schlug einmal kurz mit den Flügeln.
»Warum? Weißt du, warum?«
Gratch nickte. Er griff über seine Schulter und bekam etwas zu fassen, das an einem weiteren Lederband auf seinem Rücken hing. Er zerrte einen länglichen, roten Gegenstand hervor und hielt ihn ihr am Ende des Bandes hin.
»Was ist das?« fragte Zedd.
Kahlan machte sich daran, den Knoten zu lösen. »Eine Mappe für Schriftstücke. Vielleicht ist es ein Brief von Richard.«
Gratch bestätigte ihre Vermutung mit einem Nicken. Als sie den Knoten gelöst hatte, bat sie Gratch, sich hinzusetzen. Er ließ sich bereitwillig ein Stück weit seitlich nieder, während Kahlan den zusammengerollten und plattgedrückten Brief aus der Tasche nahm.
Zedd setzte sich neben Adie ans Feuer. »Dann wollen wir mal hören, welche Ausflüchte der Junge vorzubringen hat. Hoffentlich taugen sie was, sonst kann er sich auf eine Menge Ärger gefaßt machen.«
»Da gebe ich dir recht«, sagte sie tonlos. »Auf dem Ding klebt genug Wachs für ein Dutzend Briefe. Wir müssen Richard beibringen, wie man ein Schriftstück versiegelt.« Sie hielt ihn ins Licht. »Es ist das Schwert. Er hat das Heft des Schwertes der Wahrheit ins Wachs gedrückt.«
»Damit wir wissen, daß der Brief wirklich von ihm stammt«, bemerkte Zedd, während er ein Stück Holz ins Feuer legte.
Als sie das Siegel aufgebrochen hatte, zog Kahlan den Brief auseinander und drehte sich mit dem Rücken zum Feuer, um ihn lesen zu können.
»›Meine verehrteste Königin«, las sie laut vor, »ich bete zu den guten Seelen, daß dieser Brief in Eure Hände gelangt…‹«
Zedd war augenblicklich auf den Beinen. »Das ist eine Nachricht.«
Kahlan sah ihn verwundert an. »Na ja, natürlich ist es das. Das ist ein Brief von ihm.«
Er winkte mit seiner winzigen Hand ab. »Nein, nein. Ich meinte, er will uns damit etwas sagen. Ich kenne Richard – ich weiß, wie er denkt. Er sagt uns, daß er befürchtet, wenn der Brief jemandem in die Hände fällt, könnte er uns verraten … oder ihn. Deshalb macht er uns darauf aufmerksam, daß er nicht alles sagen kann, was er vielleicht sagen möchte.«
Kahlan biß sich auf die Unterlippe. »Ja, das ergäbe Sinn. Normalerweise überlegt sich Richard, was er tut.«
Zedd gab ihr einen Wink und blickte kurz hinter sich, um mit seinem knochigen Hinterteil beim Setzen auch sicher den Stuhl zu treffen. »Lies weiter.«
»›Meine verehrteste Königin, ich bete zu den guten Seelen, daß dieser Brief in Eure Hände gelangt und er Euch und Eure Freunde wohlbehalten und in Sicherheit antrifft. Vieles ist geschehen, und ich muß Euch um Verständnis bitten.
Der Bund der Midlands ist aufgelöst. Von oben starren mich Magda Searus, die erste Mutter Konfessor, und ihr Zauberer Merritt erbost an, weil sie Zeugen seines Endes wurden und weil ich es war, der ihn aufgekündigt hat.
Bitte versteht, daß ich mir vollkommen über die Bedeutung der jahrtausendelangen Geschichte bewußt bin, die von oben auf mich herabblickt. Aber bitte begreift doch – hätte ich nicht gehandelt, hätte unsere Zukunft darin bestanden, Sklaven der Imperialen Ordnung zu werden, und diese Geschichte wäre in Vergessenheit geraten.‹«
Kahlan legte die Hand auf ihr klopfendes Herz und hielt inne, um schnell zu schlucken, bevor sie weiterlas.
»›Vor Monaten bereits begann die Imperiale Ordnung mit der Auflösung des Bündnisses, indem sie Abtrünnige für sich gewann und die Auflösung jener Einheit betrieb, die die Midlands einst darstellten. Während wir gegen den Hüter kämpften, kämpften sie darum, uns die Geborgenheit unserer Heimat zu nehmen. Vielleicht hätte es eine Möglichkeit gegeben, die Einheit wiederherzustellen, hätten wir genügend Zeit gehabt,
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