Die Günstlinge der Unterwelt - 5
Andellmere über einen kleinen Jungen hinweg und kam stolpernd vor ihnen zum Stehen. »Schwester Verna! Gut! Endlich hab’ ich Euch gefunden. Man verlangt nach Euch. Im Palast. Sofort.«
»Wer verlangt nach mir? Um was geht es?«
Er schlang Luft hinunter und versuchte gleichzeitig zu sprechen. »Die Schwestern verlangen nach Euch. Schwester Leoma hat mich am Ohr gepackt, damit ich euch finde und zurückbringe. Sie meinte, wenn ich trödeln würde, dann würde ich den Tag bereuen, an dem meine Mutter mich zur Welt gebracht hat. Sicherlich gibt es Schwierigkeiten.«
»Was für Schwierigkeiten?«
Er warf die Hände in die Luft. »Als ich danach fragte, haben sie mich mit diesem Blick angesehen, der die Knochen eines Mannes erweichen kann, und mir gesagt, das ginge nur die Schwestern etwas an, nicht mich.«
Schwester Verna stieß einen müden Seufzer aus. »Ich denke, dann wird es wohl das Beste sein, wenn wir mit dir zurückkehren, sonst ziehen sie dir womöglich noch das Fell über die Ohren und benutzen es als Flagge.«
Der junge Soldat erbleichte, als würde er das keinesfalls für unmöglich halten.
6. Kapitel
Auf der gewölbten Steinbrücke, die über den Flußkern zur Insel Drahle und dem Palast der Propheten führte, standen in einer Reihe, Schulter an Schulter, die Schwestern Philippa, Dulcinia und Maren – wie drei Habichte, die auf ihr abendliches Fressen lauerten. Sie hatten die Hände ungeduldig in die Hüften gestemmt. Die Sonne stand hinter ihnen, daher lagen ihre Gesichter im Schatten, trotzdem konnte Schwester Verna ihre finsteren Mienen erkennen. Warren betrat zusammen mit ihr die Brücke, Schwertmann Andellmere dagegen hatte seinen Auftrag erledigt und entfernte sich hastig in eine andere Richtung.
Die grauhaarige Schwester Dulcinia, die Zähne fest zusammengebissen, beugte sich vor, als Schwester Verna vor ihr stehenblieb. »Wo hast du gesteckt! Du hast uns alle warten lassen!«
Die Trommeln in der Stadt schlugen unbeirrt weiter ihren Takt im Hintergrund – dem langsamen Tröpfeln von Regen gleich. Schwester Verna verbannte sie aus ihren Gedanken.
»Ich war spazieren und habe über die Zukunft des Palastes und das Werk des Schöpfers nachgedacht. Ich hatte nicht erwartet, daß die Verleumdungen schon so früh beginnen würden, wo doch Prälatin Annalinas Asche kaum erkaltet ist.«
Schwester Dulcinia beugte sich noch weiter vor, ihre stechenden blauen Augen bekamen einen gefährlichen Schimmer. »Wage es nicht, uns gegenüber unverschämt zu sein, Schwester Verna, oder du wirst dich sehr schnell als Novizin wiederfinden. Jetzt, da du in das Leben im Palast zurückgekehrt bist, tätest du gut daran, dir die Gepflogenheiten hier wieder ins Gedächtnis zu rufen und deinen Vorgesetzten den gehörigen Respekt zu erweisen.«
Schwester Dulcinia richtete sich wieder auf, so als zöge sie ihre Krallen zurück, jetzt, nachdem die Drohung ausgesprochen war. Sie erwartete keinen Widerspruch. Schwester Maren, eine stämmige Frau mit Muskeln wie ein Waldarbeiter und der dazugehörigen Zunge, lächelte zufrieden. Die große, düstere Schwester Philippa, deren vorstehende Wangenknochen und schmaler Kiefer ihr ein exotisches Aussehen verliehen, hielt ihre dunklen Augen auf Schwester Verna gerichtet und beobachtete sie mit ausdrucksloser Miene.
»Meine Vorgesetzten?« fragte Schwester Verna. »In den Augen des Schöpfers sind wir alle gleich.«
»Gleich!« Schwester Maren schnaubte gereizt. »Eine interessante Vorstellung. Wenn wir eine Revisionsverhandlung einberiefen, um über den Fall deines zänkischen Verhaltens zu beraten, dann würdest du schon sehen, wie ›gleich‹ du bist. Und sehr wahrscheinlich würdest du dich zusammen mit meinen übrigen Novizinnen bei der Hausarbeit wiederfinden, nur wäre diesmal kein Richard hier, der sich einmischen und dich dort rausholen würde.«
»Tatsächlich, Schwester Maren.« Schwester Verna zog eine Braue hoch. »Was Ihr nicht sagt.« Warren schob sich langsam hinter sie, in ihren Schatten. »Wenn ich mich recht erinnere, und bitte verbessert mich, wenn ich mich irre, so habt Ihr beim letzten Mal, als ich ›dort rauskam‹ gesagt, dies sei deshalb geschehen, weil Ihr zum Schöpfer gebetet hättet und dabei darauf gekommen wärt, ich könnte Ihm besser dienen, wenn man mich wieder zur Schwester machte. Und jetzt sagt Ihr, es sei Richards Werk gewesen. Ist meine Erinnerung falsch?«
» Du wagst es, meine Worte in Zweifel zu ziehen?« Schwester Maren preßte
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