Die Gutachterin
geht es um die ganze Gesellschaft, die ein übergeordnetes Recht darauf besitzt, vor unverbesserlichen, kaltblütig planenden und heimtückisch vorgehenden Rückfalltätern, von denen Sie hier einen vor sich sehen, geschützt zu werden.«
Wilder Beifall klang im Saal des Schwurgerichts auf – doch plötzlich brachen all das Klatschen, all die Schreie ab.
Bei den letzten Worten des Staatsanwalts hatten die Zuhörer ihre Blicke auf Ladowsky gerichtet: Er saß nach vorn gebeugt da, mit gekrümmtem Rücken, die Hände auf die Knie gelegt. Plötzlich kippte sein Körper zur Seite und fiel vom Stuhl; jeder konnte sehen, wie er mit Kopf und Schultern auf dem Boden des Gerichtssaals aufprallte.
»Theater …! Das Dreckschwein liefert auch noch 'ne Schau …!«
Draußen im Gang flüsterte der Reporter des Hessischen Rundfunks in sein Mikrofon: »Der Angeklagte, der anscheinend einen Ohnmachtsanfall erlitt, ist nun aus dem Saal gebracht worden. Das bedeutet mit Sicherheit, daß die Sitzung unterbrochen wird … Doch nein – sein Verteidiger, Professor Herbert Reuter, verlangt das Wort … Wir werden sehen, ob es ihm unter diesen Umständen erteilt wird. – Anscheinend ja …«
Langsam ging Reuter zum Richtertisch: »Ich erbitte das Wort zu einer kurzen Erklärung und bitte ferner darum, daß sie im Protokoll aufgenommen wird …«
Landgerichtsdirektor Martin beugte sich vor: »Nun, das ist ja nicht gerade …«
»Ich weiß, Herr Vorsitzender, daß es nicht üblich ist. Auch die Umstände, die diesem Verfahren aufgezwungen werden, sind es nicht. Vor allem deshalb erscheint mir diese Erklärung unabdingbar.« Er machte eine Pause und betrachtete die beiden Schöffinnen. »Und auch weil die ehrenamtlichen Richter dieser Kammer durch die Atmosphäre, in der die Verhandlung stattfindet, einer geradezu untragbaren Belastung ausgesetzt sind.«
Der Oberstaatsanwalt fuhr herum, doch eine Bewegung des Vorsitzenden ließ ihn schweigen.
»Was wir in den Straßen der Stadt erleben«, fuhr Reuter fort, »und was auch die Stimmung hier im Saal widerspiegelt, wird im allgemeinen ›Druck der Öffentlichkeit‹ genannt … In diesem Fall aber hat dieser Druck ein Ausmaß an Intensität erreicht, die in anderen Ländern und unter anderen Rechtssystemen die Durchführung dieses Prozesses zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Frage stellen müßte.
Und nun zum zweiten Punkt: Die Verteidigung weist an dieser Stelle darauf hin …«, langsam drehte sich Reuter zu Richard Saynfeldt um, der ihn gebückt, die Hände zornig auf die Platte seines Tisches gestemmt, musterte, »… daß sie sowohl den Herrn öffentlichen Ankläger wie seinen Herrn Gutachter in geradezu unerträglicher Weise für befangen hält.«
»Einspruch!« dröhnte es.
Martin zögerte, und Reuter nützte die Chance und fuhr schnell fort: »Bei beiden Herren liegt eine Parteilichkeit vor, die schon deshalb nachweisbar ist, weil sie sie ausgiebig selbst dokumentiert haben.«
»Was hier vorgebracht wird, Herr Vorsitzender, ist übelster Populismus!« schrie Saynfeldt.
»Populismus?« Reuter lächelte: »Und was war Ihre Pressekonferenz auf der Straße, in der Sie den Angeklagten vorverurteilten, obwohl doch auch Sie, gerade Sie zu Objektivität und Unparteilichkeit durch das Gesetz gehalten sind?«
Nun klopfte Martin energisch auf den Tisch. »Daß dieses Verfahren durchgeführt wird, Herr Professor, wissen Sie so gut wie ich. Also, was soll das …? Zum anderen Teil Ihrer Erklärung: Soll ich daraus entnehmen, daß Sie den Antrag stellen, den Herrn Gutachter der Staatsanwaltschaft für befangen zu erklären?«
»Nein.« Milde lächelnd schüttelte Reuter den Kopf. »Ich verzichte darauf. Mein Anliegen besteht allein darin, darauf hinzuweisen, welche Lasten in diesem Verfahren die Verteidigung wegzuräumen hat und wie rechtlich problematisch sie diesen Prozeß in seiner Gesamtheit betrachtet.«
Isa beobachtete einen Richard Saynfeldt, der die Schultern zusammenzog, als könne er nur so den Zorn in seinem Körper bändigen. – Eins zu null, dachte sie …
* * *
Landgerichtsdirektor Martin hatte den Beginn des Verfahrens nach einer Besprechung mit dem Präsidenten und in der Hoffnung, die Gemüter würden sich über das Wochenende beruhigen und die ganze Aufregung abklingen, auf den Freitagvormittag gelegt.
Es war eine Hoffnung, die trog. Die Busse von auswärts waren zwar wieder abgefahren, aber die Leser konnten in den Sonntagsausgaben ihrer Zeitungen nachlesen, mit
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