Die Gutachterin
sich alle Mühe gegeben: Lehrer, Schüler, Nachbarn aus Ladowskys Jugend … Und stets lief es auf das eine hinaus: »Der hat ja mit kaum jemand geredet, war immer so schüchtern. Aber nett war er schon … Nur, Freunde hatte er überhaupt keine, weil ihn ja keiner ernst nahm …« Ja, Ladowsky habe stets einen besonnenen, ordentlichen Eindruck gemacht, und das habe sich schließlich auch in den Zeugnissen ausgedrückt: Bei jeder Leistung habe er zum oberen Drittel der Klasse gehört.
Sie rutschte auf dem Stuhl hin und her, hatte schon alle Positionen ausprobiert und fand noch immer nicht die richtige. Die Jacke hatte sie längst über die Lehne gelegt, die Hitze im Saal begann unerträglich zu werden. Von den Schöffen hatte sich bisher noch niemand in das Verfahren eingemischt. Still und unbeweglich, als gehe sie das alles nichts an, saßen die beiden Frauen, auf die es nach Reuters Meinung ankam, am Richtertisch und blickten über die Köpfe hinweg. Alles, die Aussagen, die Stimmen, die Fragen, hatte für Isa den monotonen Charakter eines Fließbands angenommen und machte sie benommen.
Gerade wurde Kämmerer vernommen, Ludwig Ladowskys letzter Arbeitgeber. Auch er, ein schwergewichtiger Mann mit Bierbauch und aufgeschwemmtem Gesicht, stimmte ein in den allgemeinen Chor: »Der Ladowsky, dem konnte man das doch nicht anmerken. Gut, irgendwie komisch war er schon, deshalb nahmen die anderen ihn auch nicht so richtig ernst … Aber in der Arbeit, nischt zu sagen, immer pünktlich, ein guter Fahrer – ja, immer pünktlich, zuverlässig und sehr umsichtig.«
Richard Saynfeldt nickte zufrieden.
Das Wort wird er lieben, dachte Isa: umsichtig. Einer, der genau und umsichtig plant …
Der Pressezeichner links vor ihr hatte aufgegeben. Sein Block rutschte zu Boden. Doch er machte sich noch nicht einmal die Mühe, ihn aufzuheben. Einen Angeklagten abzukonterfeien, der nicht ein einziges Mal das Gesicht verzog, was sollte das auch?
Die Prozeßmaschine lief weiter. Auf der einen Seite die Zeugen der Anklage, die bei der Befragung durch den Oberstaatsanwalt bestätigten, was Saynfeldt bereits in seinem Eröffnungsplädoyer dramatisch in Szene zu rücken gewußt hatte: daß nämlich der Angeklagte schon deshalb als heimtückisch planender und voll schuldfähiger Mörder einzustufen sei, weil er auch alles andere, was er sonst in seinem Leben getan hatte, stets mit Vernunft anging und dann umsichtig und planvoll ausführte – auf der anderen eine Verteidigung, die meist auf ein Kreuzverhör verzichtete und auch sonst wenig Fragen zu stellen hatte.
Schließlich der Angeklagte selbst. Nichts, keine Stimme, kein haßerfülltes Gesicht, auch keine Erinnerung an seine Jugend schien ihn aus der steinernen Ruhe, in die er versunken war, herauszulocken.
Die Sitzung wurde mit dem Aufruf der Sachverständigen fortgesetzt. Als erster kam der Gerichtsmediziner an die Reihe. Dr. Heiner Gottlieb vom Gerichtsmedizinischen Institut beschrieb, in welchem Zustand er die Leiche Evi Fellgrubs vorgefunden hatte. Der schwere Zementblock habe dem Opfer den Schädel buchstäblich zertrümmert. Ein derartiges Trauma habe stets den Sekundentod zur Folge.
»Ich möchte Sie doch, Herr Sachverständiger, um eine präzisere Schilderung bitten – zu der Kopfverletzung und den Genitalverletzungen. Beides, Herr Dr. Gottlieb. Ich bitte, auch die Schädelverletzung und den entscheidenden Grund, der zum Tod führte, so darzustellen, daß jeder im Saal begreifen kann, wie es ablief.«
Gottlieb zog etwas hilflos die Schultern hoch, sah zum Richtertisch und sagte: »Ja nun, ich habe natürlich einige Schautafeln mitgebracht, auf denen ich Ihnen das alles zeigen kann, aber es wird ziemlich Zeit kosten.«
»Das macht nichts, Herr Sachverständiger, das macht gar nichts«, sagte Saynfeldt.
Reuter war wieder aufgestanden: »Nichts, aber auch gar nichts von der hier eingeforderten Schilderung des Todes und den Verletzungen des Opfers wird von der Verteidigung bestritten. Es ist deshalb nicht einzusehen, warum der Prozeß und auch der Herr Sachverständige mit derartigen Fachausführungen belastet werden sollen.«
»Ich bestehe darauf.«
Reuter setzte sich resigniert. Natürlich bestand Saynfeldt darauf, er brauchte die ganz große Staatsanwaltschaftsschau, und niemand konnte ihn daran hindern. In der Folge erklärte Dr. Gottlieb eineinhalb Stunden einem zunächst konsternierten und fassungslosen, dann immer matter dreinblickenden Publikum die Qualen und den
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