Die Gutachterin
ein, und der Wagen hielt im Hof des Landgerichts. – ›Fiat Justitiar‹. – Nie waren ihr die braunen Sandsteinquadern des alten Gebäudes so abweisend, so drohend erschienen wie in diesem Augenblick.
Der Aufzug brachte sie nach oben.
In der Kabine demonstrierte Berling seinen Polizistenblick: gerade, direkt – und doch abschätzend distanziert.
»Wenn ich etwas an Ihnen bewundere, dann sind es Ihre Nerven«, sagte er.
»Nerven? Die hatte ich einmal … Ich habe sie mir abgeschminkt. Ich kann sie mir nicht mehr leisten.«
Es schien eine Verhandlungspause gegeben zu haben. Aus den Gruppen von Menschen in dem breiten Vorraum löste sich eine schwarze Gestalt: Reuter. Und er ging … nein, mit wehendem Mantel stürmte er geradezu heran.
»Mein Gott, Isabella! Ich habe gerade gehört … Lassen Sie sich anschauen. – Um Himmels willen, Sie sind ja verletzt!«
»Nicht so schlimm.« Sie tastete über das Pflaster. »Ein kleiner Glassplitter.«
»Aber fühlen Sie sich denn stark genug? Ich meine, sehen Sie sich in der Verfassung, jetzt auszusagen?«
»Natürlich. Und Sie wollen's doch so, Herbert! Kommen Sie, machen Sie kein Theater: Mein Pflaster ist Ihnen doch ganz recht, paßt ja auch wunderbar ins Konzept. Es bringt Ihnen Sympathiepunkte.«
»Ihnen«, lächelte er. »Und uns natürlich …«
»Gut, uns …«
Die Verhandlung ging weiter. Er legte ihr die Hand auf die Schulter und ließ sie stehen. Zehn Minuten später bereits wurde Isabella aufgerufen.
Der Saal war wie immer brechend voll. Alle Köpfe wandten sich ihr zu, und auf den Gesichtern lag gespannte Aufmerksamkeit.
Der Vorsitzende hatte sich kurz erhoben, ehe es zur Befragung hinsichtlich der ›persönlichen Verhältnisse‹ kam.
»Frau Reinhard, ich darf Ihnen – dies bitte nicht ins Protokoll – mein ganz persönliches Bedauern über das ausdrücken, was geschehen ist. Und dazu, im Namen des Gerichtes, den Abscheu, den wir gegenüber diesem Vorkommnis empfinden.«
Auch Richard Saynfeldt stand jetzt auf.
»Die Staatsanwaltschaft schließt sich den Ausführungen des Herrn Vorsitzenden an«, sagte er gemessen. »Nun aber zur Verhandlung. Ehe mit der Befragung begonnen wird, möchte ich darauf hinweisen, daß Frau Dr. Reinhard in ihrer Eigenschaft als Gutachterin dem Verfahren bisher beiwohnte. Zeugen jedoch ist die Anwesenheit nicht gestattet. Nach der Prozeßordnung ist diese Einvernahme unzulässig.«
Reuter hatte sich bereits erhoben. »Ich würde mit Ihnen übereinstimmen, Herr Kläger, wenn die Aussagen der Zeugin etwas mit dem hier zur Verhandlung stehenden Tatbestand zu tun hätten. Doch sie betreffen ein völlig anderes Delikt: den Brandanschlag auf die Mutter des Angeklagten. Frau Ladowsky liegt, wie ich gerade erfahren habe, infolge der schweren Brandverletzungen, die sie erleiden mußte, erneut auf der Intensivstation. Ihr Zustand wird von den Ärzten als äußerst ernst bezeichnet.«
Reuter machte eine dramatische Pause und öffnete beschwörend beide Hände. »Diesem Anschlag ist nun, wie ich zu meinem Entsetzen feststellen muß, ein zweites Attentat gefolgt – und ausgerechnet auf die Gutachterin der Verteidigung.«
Er läßt auch keine Chance aus, dachte Isa. Und er hat recht. Es war zu spüren: Die spannungsgeladene Aggressivität schien aus dem Saal gewichen zu sein. Richard Saynfeldt starrte düster vor sich hin oder blätterte mit gespieltem Desinteresse in seinen Akten, während Landgerichtsdirektor Martin und Reuter ihre Fragen hinsichtlich der Brandnacht in Walldorf an sie stellten.
Der Wind hatte sich gedreht, und Isabella war sich sicher, daß sie ihre Sache gut machte. So eindringlich wie nur möglich beschrieb sie das brennende Zimmer, sprach von den vier Puppen, die sie in Ladowskys Zimmer gesehen hatte, von den Mädchenkleidern, die dort brannten … Das Publikum folgte mit weit aufgerissenen, erstaunten Augen, und Reuter nickte zufrieden.
»Wir danken Ihnen, Frau Zeugin«, sagte Martin am Ende. »Sie sind entlassen.«
Richard Saynfeldts Fingerknöchel klopfte auf den Tisch. »All das, was Frau Dr. Reinhard hier gerade vorgebracht hat, hätte in ihr Gutachten gehört, statt jetzt an den Beginn der Vernehmung der Zeugen der Verteidigung gestellt zu werden. Ich protestiere gegen derart unzulässige verfahrenstechnische Tricksereien.«
»Ja nun«, meinte Martin milde, »ob man das so nennen kann? Jedenfalls, ›verfahrenstechnischer Trick‹ oder nicht, diese Aussage war doch dazu angetan, eine für uns
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