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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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der besten Strafrechtler der Stadt, nein, des ganzen Landes, schmales, noch immer straffes Gesicht, Brille, spärliches, jedoch sehr gepflegtes weißes Haar und, wie ihr Jürgen sagte, bereits weit über sechzig … Überhaupt war es Jürgen, einer von Richards zahlreichen Vettern aus dem Saynfeldtschen Juristenklan, der ihn ihr vorgestellt hatte.
    »Es ging damals um diese Krebshilfe-Stiftung.« Die Stimme war nun leise und begütigend, aber auch anmahnend, als spräche sie zu einem begriffsstutzigen Kind.
    »Verzeihen Sie, Professor. Ich weiß Bescheid …«
    »So? Aber Sie wissen nicht, wie sehr Sie mich beeindruckten. Zufällig hatte ich nämlich kurze Zeit zuvor Ihren Artikel in der Allgemeinen Juristenzeitung gelesen. Und dann – nehmen Sie's mir nicht übel, aber die Männer haben immer diesen dämlichen Schubladenraster: links oben die Intellektuelle mit der Brille auf der langen Nase, nicht wahr –, dann stand ich da plötzlich vor einer absolut kompetenten Frau, die auch noch aussah wie ein Fernsehstar … Übertreibe ich?«
    »Ich glaube schon.«
    »Dann entschuldigen Sie.«
    »Gerne. Um was geht's denn?«
    Er lachte leise über die brüske Sachlichkeit, mit der sie seine Komplimente abschnitt.
    »Ich hätte gerne bei einem recht interessanten Fall Ihre fachliche Beratung. Wie ich es sehe, wird sich daraus ein Gutachterauftrag entwickeln, falls Sie daran interessiert sind.«
    »Kommt drauf an.«
    »Ich möchte Ihnen das jetzt nicht am Telefon erklären. Könnten wir uns irgendwo treffen?«
    »Wo?«
    »Nun, Büros haben immer so etwas Trostloses. Außerdem sind sie stinklangweilig. Sagen wir im ›Toronto‹. Den Zeitpunkt können Sie bestimmen.«
    »Morgen, siebzehn Uhr?«
    »In Ordnung.«
    * * *
    »Ich stelle die Frage nochmals, Angeklagter: Haben Sie nicht Mitleid empfunden, als dieses Kind um Hilfe schrie? Irmi Meyser war ja erst dreizehn. Sie kämpfte um ihr Leben. Sie haben sie erstickt. Was haben Sie empfunden? Was spielte sich da in Ihnen ab?«
    Ladowsky hatte geschwiegen.
    »Ein Kind, Herr Ladowsky, ein Kind, dem das Leben genommen wurde. Als sie tot war, als sie vor Ihnen lag, was fühlten Sie da?«
    Ladowsky weinte.
    So war das damals gewesen. Sie hatten ihn ja nicht reden lassen. Und wenn er bereit gewesen wäre zu reden, hätten sie ihn nicht verstanden.
    »Sie haben kein Mitleid gefühlt?«
    Und wie, Herr Vorsitzender, hätte er sagen können. Es ist doch nicht so, daß ich nicht weiß, daß auch Hurenpüppchen Menschen sind, sie vor allem, denn wo zeigt sich Gottes Wille in vollendeterer Form als im Körper einer Dreizehn-, Vierzehn-, Fünfzehn- oder Sechzehnjährigen – manche Teenies, das sind doch wahre Göttinnen, nicht wahr? Wann schließlich ist eine Frau schöner als in diesem Alter?
    Und er hatte die Körper zerstört. Aber das mußte so sein, ja klar doch, ging gar nicht anders – er hatte seine Befehle …
    Später, oh, da war dann alles anders. Tage später, da tat es ihm immer leid. Später weinte und weinte er. Wem sollte er auch davon erzählen? Er weinte und dachte daran, sich selbst umzubringen. Ja, oft genug. – Und so weinte er um sich selbst, um Ludwig, den keiner verstand, um Ludwig, das Opfer menschlicher Blödheit.
    Zuvor jedoch …
    Zuvor kam der Befehl.
    Er hörte ihn nicht, er spürte ihn, er kam nicht aus dem Kopf, er kam aus der Erde, denn Gottes Reich, das waren die Sterne und die Erde, und der Befehl, das war wie ein pulsender Strom, der die Haut seiner Sohlen durchdrang und seine Beine, die Schenkel hochkroch, der dann dort unten eine feurige Spirale bildete, die sich weiter ausbreitete, über die Brust, über den Rücken in die Arme, die Fingerspitzen bis hinauf zum Kopf fuhr.
    Tu es!
    Nur das eine: TU ES!
    Ludwig Ladowsky lag in seinem Bett im Untersuchungsgefängnis. Nicht nur Beine, Hüfte und linke Seite waren mit Mull und Pflaster beklebt, nun trug er auch noch einen Verband, der beide Gesichtsseiten und die Stirn bedeckte und all die Haut und Gewebezonen schützen sollte, die Otto Schobigs Suppenattentat verletzt hatte. »Verbrennungen zweiten Grades«, hatte der Doktor gesagt.
    Schobig gab es nicht mehr. Sie hatten ihm einen anderen Pfleger geschickt, der hieß Maiersfeld, war gleichfalls Häftling, aber klein und schmächtig und wirkte irgendwie ungefährlich. Jedenfalls war Ladowsky, wenn er Maierfelds mageres Gesicht und die krummen Schultern sah, irgendwie beruhigt.
    »Nicht wahr, du tust mir nichts?« hatte er auf ein Blatt Papier geschrieben.

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